"Inakzeptabel", das Wort war auf den Lippen vieler Staats- und Regierungschefs beim Brüsseler Sondergipfel. Denn das, was da am Sonntag im weißrussischen Luftraum passiert war, das war tatsächlich ohne Beispiel. Ein Flugzeug der irischen Fluggesellschaft Ryanair war von einem Kampfflugzeug dazu gezwungen worden, auf dem Flughafen von Minsk notzulanden - angeblich wegen einer Bombendrohung.
Auf dem Flugfeld wurden der Blogger Roman Protassewitsch und seine Freundin festgenommen, die sich beide in der Maschine befanden. Der Mann wurde in Belarus gesucht und wohne seit einiger Zeit in Litauen. Das Flugzeug war unterwegs von Athen nach Vilnius, der Hauptstadt von Litauen, zwischen zwei EU-Hauptstädten also. Erst nach Stunden konnte das Flugzeug nach Litauen weiterfliegen.
Das war eine staatlich organisierte Flugzeugentführung, wetterte Ryanair-Chef Michael O'Leary. Für die Crew und für die Passagiere sei das sehr beängstigend gewesen. Die Leute seien stundenlang von Bewaffneten festgehalten worden. "Und wir glauben, dass auch KGB-Agenten an Bord der Maschine waren", sagte O'Leary. Medienberichten zufolge sollen drei Geheimdienstler, die in dem Flugzeug saßen, ebenfalls in Minsk geblieben sein.
Belarussischen Luftraum meiden
Der Vorfall hat offensichtlich das Fass zum Überlaufen gebracht. "Wir werden es nicht tolerieren, dass man russisches Roulette spielen will mit dem Leben von unschuldigen Zivilisten", sagte EU-Ratspräsident Charles Michel. Die EU-Staats- und Regierungschefs haben beschlossen, dass belarussische Fluggesellschaften nicht mehr den Luftraum und die Flughäfen der EU nutzen dürfen. Genau dafür hatte auch schon unter anderem Premierminister Alexander De Croo plädiert.
Fluggesellschaften mit Sitz in der EU werden zudem aufgefordert, den Luftraum über Belarus zu meiden. Die Fluggesellschaften Lufthansa und KLM hatten schon angekündigt, den Luftraum nicht mehr zu überfliegen.
Darüber hinaus erweitert die EU die bestehende Liste mit Personen und Unternehmen, gegen die Vermögenssperren und Einreiseverbote gelten. Diese Maßnahmen gelten im Wesentlichen für den Präsidenten Alexander Lukaschenko und seine Unterstützer. Es waren ja schon Sanktionen gegen Belarus in Kraft nach der gewaltsamen Unterdrückung von Protesten.
Die Europäische Union fordert auch die sofortige Freilassung von Roman Protassewitsch und seiner Partnerin. Nach Angaben der Führung in Minsk befindet sich der Oppositionelle in Untersuchungshaft. Das Staatsfernsehen sendete inzwischen ein Video mit einem "Geständnis" des Journalisten. Darin gibt er zu, dass er Massenproteste in der Stadt Minsk organisiert habe. Gesundheitlich gehe es im gut. Wo sich seine Partnerin befindet, ist nicht bekannt.
Rolle Russlands
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach der Rolle Russlands. Experten gehen davon aus, dass das belarussische Regime diese Aktion nicht ohne Zustimmung aus Moskau durchgezogen hätte. Der russische Außenminister Lawrow bezeichnete in einer ersten Reaktion das Vorgehen der Behörden des verbündeten Nachbarlandes als "gemäßigt".
Die Beziehungen zu Russland hatten eigentlich auf dem Programm des Sondergipfels gestanden. In den letzten Tagen und Wochen hatte es ja mehrere diplomatische Zwischenfälle zwischen Moskau und einzelnen EU-Hauptstädten gegeben. Der Gipfel erkläre sich solidarisch mit den östlichen EU-Ländern, insbesondere Tschechien, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel. Die Staats- und Regierungschefs seien sich einig, dass Russland konsequent die EU-Interessen und -Werte bedrohe, sagte auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Nicht nur in der Vergangenheit, sondern immer noch.
dpa/dlf/est/rop