Es war die letzte "Rede zur Lage der Union" von Jean-Claude Juncker. Für eine Bilanz sei es aber noch zu früh, es gebe nämlich immer noch viel zu tun. Die Welt sei im Moment eine "flüchtige". Dinge verändern sich manchmal rasend schnell. Mehr denn je muss die Europäische Union also gewappnet sein. Und das gehe nur, wenn man zusammensteht und an einem Strang zieht.
Und das funktioniert! Gesehen habe man das etwa, als er in die USA gereist sei, um den US-Präsidenten davon abzubringen, Strafzölle gegen europäische Produkte zu verhängen. Er habe da "für die EU" gesprochen - und das sei nun mal der größte Binnenmarkt der Welt. "Wir alle sollten uns unserer Stärken bewusst werden", meint Juncker. Die Europäer dürften durchaus den Anspruch erheben, eine gewichtigere Rolle auf der Weltbühne zu spielen.
Deswegen habe er auch die EU-Verteidigungsunion vorangetrieben. Aber, damit das klar ist, sagt Juncker: Hier gehe es nicht um eine Militarisierung der EU. Ziel sei einzig und alleine, dass Europa sein Schicksal selbst in die Hand nimmt und unabhängiger wird. Denn, so sagt Juncker: Die Allianzen von gestern sind nicht notwendigerweise die Allianzen von morgen...
Nein zum Nationalismus
Aber natürlich ist sich der EU-Kommissionsvorsitzende durchaus darüber im Klaren, dass die Zentrifugalkräfte da im Moment manchmal stärker erscheinen als der Wille zur Einigkeit. So oft, wie er zur Geschlossenheit appellierte, so oft warnte er denn auch vor "blindem Nationalismus". Ja zum Patriotismus, der sich nicht gegen andere wendet. Nein zum Nationalismus, der andere ausgrenzt und permanent nach Sündenböcken sucht, statt nach Lösungen.
Aber, apropos Sündenbock. Er selbst und seine Kommission würden sich auch nicht mehr jeden Schuh anziehen. Zum Beispiel im Zusammenhang mit der Migrationspolitik.
Um nochmal unter Beweis zu stellen, dass seine Kommission eben nicht untätig bleibt, legte er eine Reihe von bekannten und neuen Vorschlägen vor, insbesondere im Bereich der Migrationspolitik. Aufstockung der Grenzschutzagentur Frontex, Ausbau der EU-Asylagentur, Hilfe bei der Rückführung von abgewiesenen Asylbewerbern.
Zauberwort Solidarität
An Vorschlägen mangele es nicht. Nur hätten die Staaten allzu oft nur ihren eigenen Nabel im Blick. Solidarität, das sei das Zauberwort, sagt Juncker.
Die Wahlen stehen bevor, sagt Juncker. Mehr denn je müsse man die Menschen davon überzeugen, dass die EU einen klaren Mehrwert hat. Heißt: Keine halben Lösungen! Wir müssen beweisen, dass die EU den Alltag der Menschen verbessern kann, wenn wir zusammenarbeiten.
Deswegen plädiere er auch dafür, dass in der gemeinsamen Außenpolitik künftig verstärkt Mehrheitsentscheidungen getroffen werden können, um zu verhindern, dass ein Land alles blockiert.
Umgangston wird rauer
Allerdings könne er nur feststellen, dass der Umgangston zwischen den EU-Partnern rauer wird. Aber, nicht nur das: Es gibt inzwischen auch Länder, die die Debatten vollends abwürgen wollen, indem sie versuchen, die Presse zu unterdrücken.
Es seien eben vor allem auch die Werte, die die EU ausmachten. "Und die dürfen wir nie verraten", sagt Juncker, und dann klingt die Rede doch noch wie ein politisches Testament. Wir müssen uns treu bleiben. Lasst uns heute Bäume pflanzen, in deren Schatten alle Europäer in Zukunft in Frieden aufwachsen und in Freiheit atmen können.
Roger Pint