"Guten Morgen, wir haben - wie sie an der Uhrzeit merken - eine sehr intensive Debatte gehabt" - da war es fast fünf Uhr morgens, als eine doch etwas müde dreinschauende deutsche Bundeskanzlerin vor die Pressemikrophone trat. Diesmal stand sie natürlich nochmal ganz besonders im Fokus. Ihr Koalitionspartner CSU hatte innenpolitisch mächtig Druck gemacht. Innenminister Horst Seehofer hatte in der Asylpolitik mit einem deutschen Alleingang gedroht, falls die EU sich nicht endlich auf verbindliche Regeln einigen würde. Die Zeitung De Standaard sprach denn auch am Freitagmorgen von der "Operation 'rettet Merkel'".
Eine "sehr intensive Debatte" war es also nach Worten von Merkel. Das glaubt man ungesehen, wenn man bedenkt, wie weit die Standpunkte einzelnen Mitgliedstaaten eigentlich bislang voneinander entfernt lagen. Die Annäherung erfolgte aber in Richtung einer deutlichen Verschärfung der Flüchtlingspolitik.
Der österreichische Ministerpräsident Sebastian Kurz drückte es so aus: "Es konnten jetzt Dinge verändert werden, für die wir vor zwei, drei Jahren noch massiv kritisiert wurden." In der Tat: In den Gipfelbeschlüssen stehen einige Punkte, die bis vor Kurzem noch für manche Länder als indiskutabel galten. Etwa die Möglichkeit der Schaffung von Sammelpunkten außerhalb der EU. Dorthin sollen Migranten gebracht werden, die auf See gerettet wurden.
Keine fertige Lösung
Das ist aber bislang nur eine Idee. Jetzt muss man erstmal mit den betroffenen Ländern in Nordafrika darüber sprechen. Als Modell gilt da das Abkommen mit der Türkei, die ja, als Gegenleistung für die Aufnahme von Flüchtlingen, Geld von der EU bekommt. Als wirklich fertige Lösung könne man das in der Tat noch nicht bezeichnen, räumte auch der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel ein.
Aber nicht nur außerhalb, auch innerhalb der EU sollen geschlossene Aufnahmelager entstehen, wo also die Migranten solange bleiben müssen, bis ihre Asylanfrage bearbeitet wurde. So soll die Einwanderung in Bahnen gelenkt werden, sagt der französische Präsident Emmanuel Macron. Und dabei habe man auch die Solidarität mit den sogenannten Ersteinreiseländern noch einmal bekräftigt.
Das muss wie Musik in den Ohren des italienischen Ministerpräsidenten Guiseppe Conte geklungen haben. In der neuen Regierung in Rom sitzt ja auch die rechtsextreme Lega-Partei. Und deren Innenminister Matteo Salvini hatte im Vorfeld deutlich klargemacht, dass Italien sich nicht mehr alleine um die Migranten kümmern will, die über das Mittelmeer kommen. Italien hatte denn auch in der Nacht zwischenzeitlich sogar mit einer Blockade des Gipfels gedroht.
"Neues Europa geboren"
Bei diesem Treffen sei aber jetzt ein neues Europa geboren worden, bilanzierte fast schon euphorisch der italienische Ministerpräsident. Es sei ein verantwortungsvolleres und ein solidarischeres Europa. Italien ist nicht länger alleine.
Die Einrichtung besagter Sammellager innerhalb der EU erfolge auf freiwilliger Basis. Jedes Land kann selbst entscheiden, ob es so ein geschlossenes Zentrum einrichten will, sagt Conte. Diese Zentren sollen in Zusammenarbeit mit Menschenrechtsorganisationen und dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge verwaltet werden. Angenommenen Asylbewerber sollen dann über Europa verteilt werden, allerdings nur in Länder, die sich dazu bereiterklären, sagt der Österreicher Sebastian Kurz.
Sekundärmigration
Daneben ging's aber auch um die sogenannte "Sekundärmigration". Gemeint sind damit die Bewegungen der Migranten innerhalb Europas. Und das war ja genau der Punkt, weswegen der deutsche Innenminister Horst Seehofer die deutschen Grenzen schließen wollte. Auch dieser Punkt steht in den Gipfelbeschlüssen, betont die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. "Wir haben festgestellt, dass auch hier für Ordnung und Steuerung gesorgt werden muss. Kein Asylbewerber hat das Recht, sich das Land innerhalb der Europäischen Union oder des Schengen-Raums auszusuchen, in dem es ein Asylverfahren gibt." Also ganz klar eine Botschaft an den Koalitionspartner aus München.
In einem Punkt sind sich aber alle einig: Es war wichtig, eine europäische Lösung zu finden und damit ein Signal der Einigkeit in die Welt zu senden, sagten stellvertretend Emmanuel Macron und Xavier Bettel.
Roger Pint