"Es sieht so aus, als wäre es möglich, dass wir heute eine Trendwende in der Migrationspolitik einleiten." So hörte sich am Donnerstagnachmittag der neue starke Mann aus Wien an, Österreichs junger Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Mit der Trendwende meinte er nichts anderes als den kleinsten gemeinsamen Nenner, auf den sich der EU-Gipfel wahrscheinlich einigen kann. Nämlich die Stärkung der EU-Außengrenze im Mittelmeer durch den europäischen Grenzschutz Frontex, eine systematische Rückführung der Flüchtlinge, die im Mittelmeer aufgegriffen werden, nach Nordafrika, wo sie dann neu zu schaffende Asylzentren gesteckt werden sollen.
"Anlandeplattformen" hießen die ja jetzt, sagte Kurz. Fügte aber hinzu: "Mir ist egal, wie wir das nennen. Wichtig ist die Idee dahinter, nämlich: Die Rettung im Mittelmeer darf nicht automatisch zum Ticket nach Europa werden."
Solidarität
Besserer Schutz der Grenzen und eine bessere Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern, das forderte auch Premierminister Charles Michel. Fügte als dritten Punkt aber noch etwas hinzu, was beim Österreicher Kurz fehlte: Nämlich die Solidarität unter den EU-Mitgliedstaaten.
An der mangelnden Solidarität der EU-Staaten untereinander liegt es ja, dass die Stimmung vor dem Gipfel so aufgeheizt war. Italien hatte sich mehrfach geweigert, Schiffe mit Flüchtlingen in italienische Häfen einlaufen zu lassen, weil Italien sich von den anderen EU-Staaten im Stich gelassen fühlt mit all den ankommenden Flüchtlingen.
In Deutschland macht die CSU Druck auf Bundeskanzlerin Angela Merkel, weil die CSU Flüchtlinge an der deutschen Grenze abweisen will, die schon in einem anderen EU-Land registriert sind. Entsprechend deutete Merkel bei ihrer Gipfelvorschau am Donnerstag an, dass man auch über diese Punkte sprechen werde: "Wir werden auch über Themen wie Frontex, Grenzschutz und Themen der Sekundärmigration sprechen", sagt Merkel. "Die Staaten, die viele Flüchtlinge bekommen, brauchen natürlich Unterstützung. Auf der anderen Seite können sich die Flüchtlinge und Migranten aber auch nicht aussuchen, in welchem Land sie ein Asylverfahren durchlaufen."
Problem auf Gipfel nicht zu lösen
Dass Merkel damit über Themen sprechen möchte, die kaum gelöst werden können auf dem Gipfel, weiß sie sicher selbst. Es ist nämlich das, was Michel die Solidarität untereinander nennt. Konkret: Die Bereitschaft aller EU-Staaten, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen.
Doch daran sind in der Vergangenheit alle Versuche gescheitert, eine gemeinsame EU-Flüchtlingspolitik auf die Beine zu stellen. Es sind hier gerade viele mittel- und osteuropäische Staaten, die sich strikt weigern, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen und damit Länder wie Italien, aber auch Griechenland, Malta oder Spanien zu entlasten.
Dass dieses Problem nicht auf dem Gipfel zu lösen sei, das machte Jean-Claude Juncker deutlich. "Wir werden versuchen, aber das wird heute nicht möglich sein, die ausstehenden Probleme bis Ende des Jahres zu lösen", sagte er.
Conte droht
Italiens neuer Ministerpräsident will aber genau das erreichen: Er will konkrete, schnelle Hilfe, und sollte er die nicht bekommen von den anderen Gipfelteilnehmern, dann werde er die gemeinsame Schlusserklärung nicht unterzeichnen. Zwar hoffe er, dass es dazu nicht komme. Aber zur Not werde seine Unterschrift fehlen, drohte Conte.
Zumindest Michel reagierte auf diese Drohung gelassen. "Wir sind es in Union gewohnt, dass manchmal Drohungen ausgesprochen werden. Was zählen wird, ist, Verantwortung zu übernehmen. Und es ist manchmal mutiger, Entscheidungen zu treffen, als keine zu treffen", sagte Michel vieldeutig.
Kay Wagner