"Wenn es um Institutionen geht, dann bin ich auch nicht frei von Träumen, aber ich bin kein Träumer", sagt Jean-Claude Juncker. Der EU-Kommissionsvorsitzende ist also kein Träumer, wohl aber bekanntermaßen ein überzeugter Europäer, was eben dann doch mit einer gehörigen Dosis Idealismus einhergeht.
Jean-Claude Juncker jedenfalls blickt in die Zukunft - und das wirkte momentweise so, als sei da einer dabei, sein politisches Testament zu formulieren. "Ich hätte gerne, dass in absehbarer Zeit dafür gesorgt wird, dass wir ein Zwei-Kammer-System in Europa haben", so Juncker.
EU mit mehr Bürgernähe
"Um Himmels willen", mag da jetzt der eine oder andere EU-Skeptiker gleich wieder aufschreien: Jetzt will der Mann also schon wieder neue Institutionen erfinden. Aber nein, fügt Jucker gleich hinzu: Er wolle Bestehendes einfach neu aufstellen. Besagte zwei Kammer, das wären "der Rat der Mittelstaaten und das europäische Parlament. Und der Kommissionspräsident - und vielleicht auch der Ratspräsident - sollen in direkter Wahl ermittelt werden", so Juncker. Heißt also: Der Rat, also die Staats- und Regierungschefs, wäre eine Kammer, das EU-Parlament wäre die andere. Beide Kammern wählen die EU-Spitzenvertreter, die dadurch eine größere, demokratische Legitimität bekämen.
Darum geht es dem Luxemburger EU-Veteran: eine EU mit mehr Bürgernähe. Einen Anfang habe man schon bei der letzten Europawahl 2014 gemacht. Damals hat man ja zum ersten Mal "europäische Spitzenkandidaten" ins Rennen geschickt. Juncker war ja einer von ihnen und sein stärkster Widersacher war damals übrigens noch ein gewisser Martin Schulz, der für die Sozialisten kandidiert hatte und der inzwischen ja auch ein Intermezzo auf der innenpolitischen Bühne in Deutschland gegeben hat.
Spitzenkandidaten
An dem Konzept Spitzenkandidat würde die EU-Kommission jedenfalls festhalten wollen, sagt Jean-Claude Juncker. "Es macht Sinn, dass die Menschen bei den Wahlen wissen, wer Kommissionspräsident würde, falls sie die Partei eines bestimmte Spitzenkandidaten zur stärksten Kraft im Europäischen Parlament machen würden."
Mehr Transparenz also. Allerdings, so schränkt Juncker ein: Einen gleich wie gearteteten "Automatismus" würde es leider nicht geben. Jeder Kandidat, der als Sieger aus der Wahl hervorgeht, muss immer noch von Rat und Parlament gewählt werden. Diese Institutionen haben immer das letzte Wort. Das allerdings ist auch auf der nationalen Ebene nicht anders. Dennoch: Der Europawahlkampf bekäme so ein Gesicht, bzw. mehrere. Nur sollten die Parteien, die Spitzenkandidaten benennen wollen, das doch bitte schnell tun, am besten noch vor Jahresende, mahnt Juncker.
Ob am Ende aber überhaupt Spitzenkandidaten ins Rennen geschickt werden können, entscheiden in letzter Instanz die Mitgliedstaaten. In Zeiten, in denen manche ihr Heil in der Abschottung suchen, mag diese Idee dem einen oder anderen suspekt sein: Ein Spitzenkandidat ist schließlich in 26 anderen EU-Ländern ein "Fremder" und nimmt den nationalen Politikern zugleich die Sichtbarkeit.
Europäischer Superstaat
Dem einen oder anderen mag all das jetzt gleich schon wieder zu "föderalistisch" klingen. Kritiker bemühen da ja gerne die Mär von einem "Europäischen Superstaat", der von einem Grüppchen von Namenlosen verschwörerisch vorbereitet werde.
"Absoluter Unfug", reagierte Jean-Claude Juncker auf neuerliche Auslassungen des britischen Außenministers in diese Richtung. Er sei strikt dagegen, sagt Juncker, denn die EU sei eben nicht vergleichbar mit den USA. Die EU besteht aus 28, bald 27 Mitgliedern, die alle ihre Eigenheiten haben. Man könne den Menschen Europa nicht aufzwingen, Europa nicht auf Kosten der Nationen bauen.
Ein europäischer Superstaat? "Absoluter Nonsens!", wettert Juncker, wohlwissend, dass die Briten und andere EU-Kritiker dafür nicht aufhören würden, eben solchen "Nonsens" zu verbreiten. "Nicht frei von Träumen, aber kein Träumer"...
rop/mg