Da ist wohl eine Entschuldigung Richtung Japan fällig. Augenscheinlich haben nicht Toyotas Ingenieure Dutzende Tote und Verletzte auf dem Gewissen. Es scheinen die Fahrer selbst gewesen zu sein, die die schweren Crashs verursacht haben. Komplett entlastet ist Toyota damit zwar noch lange nicht. Doch die Pannenserie erscheint plötzlich in einem ganz anderen Licht.
Das «Wall Street Journal» veröffentlichte in seiner Mittwochausgabe erste bisher noch geheim gehaltene Daten der US-Behörde für Verkehrssicherheit. Statt auf die Bremse zu treten, sind demnach viele Fahrer in kritischen Situationen aufs Gas gestiegen. Das zeigen die Auswertungen von Datenrekordern aus Unfallwagen.
Die sogenannte «Black Box» ist aus Flugzeugen bekannt und spielt im Toyota-Drama nun die Rolle des Kronzeugen. Sie ist Toyotas beste Verbündete in einer PR-Schlacht, die das Unternehmen sonst nur verlieren kann. Was soll der von US-Politikern als Bösewicht abgestempelte Hersteller sonst den anrührenden Geschichten über die Schicksale von Unfallopfern entgegensetzen?
Unter Tränen erzählten Autofahrer im Fernsehen über ihre Schreckensfahrten. Bilder von rasenden Toyotas bestimmten über Wochen die amerikanischen Nachrichten. Einige Geschichten haben sich zwischenzeitlich als falsch herausgestellt. Doch das reichte nicht, um die allgemeine Hysterie einzudämmen.
Tausende Toyota- und Lexus-Fahrer fanden plötzlich, dass auch ihre eigenen Autos voller Fehler seien. Der Verkehrssicherheitsbehörde liegen Berichte über 75 schwere Unfälle vor, bei denen 93 Menschen gestorben sind. Und jedes Mal soll Toyota Schuld sein. Wie die Geier stürzten sich die Rechtsanwälte des Landes auf die Hinterbliebenen. Sie strengten eine der gefürchteten Sammelklagen an. Die ersten Gerichtstermine liefen schon.
Keine Frage, Toyota hat technische Probleme. Konzernchef Akio Toyoda selbst räumte schwere Versäumnisse ein. Gaspedale können von sich aus klemmen und rutschende Fußmatten eine Gefahr darstellen. Deswegen ruft der weltgrößte Autohersteller auch 8 Millionen Wagen zurück. Doch ob die Pannen wirklich zu so vielen schweren Unfällen und sogar Toten führen, wird immer zweifelhafter. Zumal die Europäer und Asiaten kaum Probleme mit ihren Toyotas haben.
Die US-Verkehrssicherheitsbehörde hat erst in einem einzigen Fall sicher ausmachen können, dass eine rutschende Fußmatte das Gaspedal blockierte und zu einem schweren Unfall führte. Bei den dramatischen Geschehnissen im August vergangenen Jahres starben der Polizist Mark Saylor (45), seine Frau Cleofe (45), Tochter Mahala (13) und Schwager Chris Lastrella (38).
Die Lexus-Limousine rammte mit mehr als 160 Kilometern in der Stunde einen Geländewagen, kam von der Straße ab, überschlug sich und ging in Flammen auf. Die letzten Sekunden im Leben der vier Menschen sind auf Tonband festgehalten und überall im Internet zu hören. Einer der Insassen hatte den Notruf gewählt.
Der Fall brachte die Rückrufwelle bei Toyota ins Rollen. Konzernchef Akio Toyoda entschuldigte sich öffentlich bei den Hinterbliebenen. Die US-Politiker ließen sich von der Geste nicht beeindrucken. Sie überhäuften den Enkel des Firmengründers mit Vorwürfen, von denen sich viele nun nicht mehr halten lassen.
Besonders Verkehrsminister Ray LaHood versteifte sich darauf, dass der eigentliche Grund für die außer Kontrolle geratenen Toyotas in der Bordelektronik zu suchen sei. Er setzte sogar die Raumfahrtbehörde NASA darauf an - bislang ohne Ergebnis, wie ein Mitarbeiter der Verkehrssicherheitsbehörde jüngst einräumte.
Audi musste einen ähnlichen Spießrutenlauf in den 1980er Jahren hinter sich bringen. Damals hatte ein Fernsehsender darüber berichtet, dass der Audi 5000 von selbst beschleunigen würde. Der Absatz brach dramatisch ein, über Jahre fristete die VW-Tochter ein Schattendasein in den Staaten, während der nahezu baugleiche Audi 100 in Europa zum Erfolg wurde. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Amerikaner schlicht das Gas- mit dem Bremspedal verwechselt hatten.
Daniel Schnettler (dpa) - Bild: epa