Gibt es ihn nun schon, oder gibt es ihn nicht? Paul Bekaert, der belgische Anwalt von Carles Puigdemont, hatte am Donnerstagabend erklärt, dass der europäische Haftbefehl gegen seinen Mandanten schon vorliege. Anscheinend entscheidet die spanische Justiz aber erst Freitag.
Dass ein europäischer Haftbefehl kommen wird, darüber besteht allerdings kaum ein Zweifel. Sobald er vorliegt, könnte die belgische Polizei den 54-Jährigen festnehmen. "Mein Mandant wird sich nicht der Prozedur entziehen und mit der belgischen Justiz zusammenarbeiten", sagte Anwalt Paul Bekaert.
Wenn der europäische Haftbefehl tatsächlich vorliegt, dann entscheidet die zuständige Ratskammer beziehungsweise gegebenenfalls die Anklagekammer als Berufungsinstanz über eine mögliche Auslieferung. Diese Prozedur könne aber erfahrungsgemäß bis zu zwei Monate dauern.
Dem Separatisten-Chef Puigdemont droht in Spanien eine Haftstrafe von bis zu 30 Jahren. Ihm werden Rebellion, Auflehnung gegen die Staatsgewalt und Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen. Grund ist der einseitige Unabhängigkeitsbeschluss, den das Parlament in Barcelona am Freitag vor einer Woche verabschiedet hatte. Die Zentralregierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy hatte die katalanische Regierung daraufhin abgesetzt.
Ehemalige Mitglieder der katalanischen Regierung in U-Haft
Die meisten Angehörigen der von Madrid abgesetzten Regierung sind seit Donnerstag hinter Gittern. Neun ehemalige Angehörige der katalanischen Regierung waren am Donnerstag vor Gericht erschienen und wurden mit Untersuchungshaft belegt. Die sieben Männer und zwei Frauen wurden nach den Vernehmungen umgehend zu zwei Gefängnissen im Madrider Umland gefahren. Nur einer dieser Politiker darf gegen Zahlung einer Kaution von 50.000 Euro die Haft unter Auflagen verlassen.
Proteste gegen Inhaftierung
Tausende Menschen gingen nach Bekanntgabe der Inhaftierungen in verschiedenen Städten Kataloniens auf die Straße, um gegen den Beschluss der Richterin zu protestieren. In der Hauptstadt Barcelona versammelten sich die Menschen vor dem Regierungspalast. In Lleida wurde die Zahl der Demonstranten auf 3.000, in Tarragona auf 5.000 geschätzt.
Unzählige Katalanen schlugen in der Nacht aus Protest auf Balkonen und von Fenstern aus spontan auf leere Töpfe. In Barcelona war der Lärm in vielen Stadtvierteln zu hören. Die Inhaftierungen wurden unter anderem von neutralen Politikern, von Gewerkschaftsverbänden, von TV-Moderatoren und auch vom Topclub FC Barcelona kritisiert. "Aktionen wie diese tragen nicht dazu bei, die Wege des Dialogs und des Respekts zu bauen, die wir als Institution immer verteidigt haben", schrieb der Fußball-Topclub.
Bourgeois schockiert über europäischen Haftbefehl
Flanderns Ministerpräsident Geert Bourgeois (N-VA) reagierte schockiert auf die Entscheidung der spanischen Justiz. Die Beantragung eines europäischen Haftbefehls gegen vier Mitglieder der Puigdemont-Regierung gehe zu weit, sagte Bourgeois. Der N-VA-Politiker forderte die EU zum Handeln auf. Alle europäischen Instanzen müssen nach Ansicht des flämischen Regierungschefs gemeinsam mit Spanien und Katalonien eine demokratische Lösung der Krise anstreben.
Puigdemont ruft zu Freilassung der katalanischen Politiker auf
Im katalanischen Fernsehen hat der abgesetzte Regionalpräsident Puigdemont mit offensichtlicher Entschlossenheit die Freilassung des Vize-Ministerpräsidenten und der anderen abgesetzten Minister verlangt. Die Videobotschaft wurde in Brüssel aufgenommen und im katalanischen Fernsehen TV3 ausgestrahlt. In der Videobotschaft bezeichnete Puigdemont die Entscheidung des spanischen Staates gegen die nach seiner Ansicht legitime Regierung Kataloniens als schweren Fehler und ernstzunehmenden Angriff auf die Demokratie. Die Katalanen rief Puigdemont auf, um gegen die Inhaftierung der Politiker zu protestieren.
belga/dpa/rop/est