Ohne Fortschritte im Streit um die Visumfreiheit will die türkische Regierung den Flüchtlingspakt mit der EU noch vor Ende dieses Jahres aufkündigen. "Unsere Geduld neigt sich dem Ende zu", sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview der "Neuen Zürcher Zeitung". "Wir warten auf eine Antwort (der EU) in diesen Tagen. Wenn die nicht kommt, werden wir die Vereinbarung kündigen." Cavusoglu fügte hinzu: "Wir warten nicht bis Jahresende."
Die Türkei habe auf Forderungen aus Brüssel reagiert und Lösungsvorschläge gemacht, könne aber ihre Anti-Terror-Gesetzgebung nicht ändern, sagte Cavusoglu. "Wir halten uns an die Abkommen mit der EU und erwarten, dass Europa dasselbe tut. Wenn das nicht geschieht, werden wir die Abkommen mit der EU auf diesem Gebiet aussetzen." Auch EU-Minister Ömer Celik drohte mit einem Ende des Abkommens, sollte die EU die Visumpflicht für Türken nicht aufheben.
EU-Kommission zuversichtlich
Die EU-Kommission rechnet dennoch nicht mit einer Aufkündigung des Flüchtlingsabkommens. Er gehe davon aus, dass sich beide Seiten an den Vertrag halten werden, sagte ein Sprecher der Behörde am Donnerstag in Brüssel. Das Abkommen beruhe auf gegenseitigem Vertrauen und der Erfüllung von Zusagen und Bedingungen. Gründe für den Optimismus der EU-Kommission nannte der Sprecher nicht.
Die Türkei hat bei dem im März vereinbarten Abkommen mit der EU zugesagt, Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurückzunehmen. Im Gegenzug versprach Brüssel der Türkei Milliardenhilfen. Außerdem stellte die EU Ankara Visumfreiheit in Aussicht. Voraussetzung dafür ist aber die Erfüllung von 72 Vorbedingungen, darunter eine Änderung der Anti-Terror-Gesetze. Nach Cavusoglus Angaben sind bis auf diesen Punkt alle weiteren Auflagen erfüllt.
Terrorbekämpfung: Keine anderen Möglichkeiten
"Interessanterweise müssen immer wir einen Kompromiss eingehen, wir haben bei mehreren Punkten eingelenkt", sagte der Minister. "Beim Terror sehe ich keine anderen Möglichkeiten. Da können wir gegenüber der EU keine Zugeständnisse machen." Alles andere würde "unser Volk als Schwächung der Terrorbekämpfung verstehen". Kritiker werfen der türkischen Führung vor, mit Hilfe dieser Gesetze politische Gegner und unliebsame Journalisten mundtot zu machen.
Celik machte für die ablehnende Haltung in der EU gegen die Visumfreiheit für Türken "rechtsradikale und islamophobe Gruppen" verantwortlich. Bei einem Besuch in Athen kritisierte er zugleich, dass die von der EU versprochenen Finanzhilfen zu langsam flössen. Bis die Mittel in der Türkei ankämen, "werden die syrischen Kinder im Grundschulalter bereits ins Rentneralter gekommen sein".
dpa/est/fs/km - Bild: Adem Altan (afp)