"Die Europäische Union ist derzeit nicht in Topform", sagt Juncker. Dieselbe Diagnose also wie in seiner Rede zur Lage der Union vor einem Jahr. Europa geht es nicht gut, kann EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker weiterhin nur feststellen. Und das vor allem, weil vielen der europäische Geist abhandengekommen ist. Wenn vor allem viele Bürger auch nicht mehr an die EU glauben, dann weil sie häufig auch in falsche Licht gestellt werde, glaubt Jean-Claude Juncker.
Und damit das nochmal klar ist: Niemand strebe einen "europäischen Superstaat" an, wie man so manchen immer mal wieder schwadronieren höre, sagte Juncker. Europas Reichtum liege doch gerade in der Vielfalt...
Zum Brexit nur so viel: Geht es nach Jean-Claude Juncker, dann wird für die Briten keine Extrawurst gebraten. Das Zeichen, das die Insel gesetzt hat, das hat man allerdings durchaus wahrgenommen.
"Soziale Ungerechtigkeit bleibt"
Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass längst nicht alles rund läuft in der EU des Jahres 2016. Zwar zeige die Wirtschaft zaghafte Zeichen der Erholung, aber: "Die soziale Ungerechtigkeit bleibt. Europa ist nicht sozial genug - das müssen wird ändern", so Juncker.
Hier zeigt sich schon: Juncker setzt weiterhin alles daran, den Bürger wieder in den Mittelpunkt der EU-Politik zu stellen. Zwischenzeitlich - und das müsse jeder zugeben - sei Europa tatsächlich vom Weg abgekommen. Längst sei man dabei, das zu korrigieren.
Im Augenblick werde die EU-Gesetzgebung auf technokratische Absurditäten abgeklopft - und genau aus diesem Grund habe er persönlich jetzt auch den Kommissionsvorschlag zu den Roaming-Gebühren zurückgezogen, der ja eine 90-Tage-Frist vorsah. "Wir haben die gänzliche Abschaffung der Auslandszuschläge versprochen, und das halten wir auch", sagte Juncker.
630 Milliarden Euro für Konjunktur und Jobmotor
"Kundenfreundlichkeit", könnte man sagen. Und um diesen Eindruck noch zu untermauern, feuerte Juncker eine ganze Salve von Vorschlägen ab. Das Volumen des Investitionsprogramms, das der Luxemburger selbst lanciert hatte, soll verdoppelt werden: 630 Milliarden Euro bis 2020. So soll die Konjunktur und damit der Jobmotor wieder angekurbelt werden. Europa könne es sich nicht leisten, eine ganze Generation von jungen Menschen in der Arbeitslosigkeit stecken zu lassen. Außerdem will die Kommission alles tun, um das superschnelle mobile 5 G Internet möglichst rasch und flächendeckend auszubauen.
Anderes Beispiel dafür, dass die Kommission auf die Sorgen der Menschen eingehen will: Juncker will persönlich den Aufbau einer EU-Grenzschutztruppe vorantreiben. In den nächsten Wochen sollten etwa schon mindestens 200 Grenzschützer an der Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei Position beziehen. Es müsse alles dafür getan werden, dass künftig alle Bewegungen in oder aus der EU erfasst werden, fügt Juncker hinzu. Und in dem Sinne sei das auch ein weiterer Beitrag der EU zum Anti-Terror-Kampf.
EU ein Projekt des Friedens
Juncker plädiert darüber hinaus auch für eine Vertiefung der militärischen Zusammenarbeit und auch der gemeinsamen Außenpolitik. Nur so werde man auch an den internationalen Verhandlungstischen das nötige Gewicht haben.
Allerdings: Bei alledem könne die EU-Kommission nicht alleine den EU-Geist beschwören. Hier müssten auch die Mitgliedstaaten ihr Quäntchen beisteuern. Die Regierungen müssten aufhören, Erfolge für sich zu beanspruchen und schlechte Neuigkeiten auf Europa zu schieben. So könne dieses gemeinsame Projekt nicht überleben.
"Wir sollten nie vergessen, was unsere Vorgänger dazu beseelt hat, die EU vor fast 50 Jahren ins Leben zu rufen", mahnte Juncker. Es war und ist immer noch ein Projekt des Friedens. Die Nachwelt wird unsere Namen vergessen, nicht aber unsere Fehler, sagte ein dann doch noch emotionaler Jean-Claude Juncker. "Lasst uns keine Fehler machen, die am Ende den europäischen Traum beerdigen."
Roger Pint - Bild: Frederick Florin/AFP
Die Worte von Jean-Claude Juncker geben Anlass zur Hoffnung. Auch wenn sehr spät, so hat die EU doch endlich begriffen, dass Europa ein Friedenswerk für die Menschen ist und mehr ist als freie Märkte, Zahlen, Börsen, etc. Bleibt nur noch zu hoffen, dass diesen Worten auch Taten folgen. Denn sonst ist die EU ein Fall für die Mottenkiste der Geschichte wie so viele Staatenbünde vor ihr.