Der gescheiterte Putschversuch in der Türkei wird Präsident Recep Tayyip Ergogan nach Einschätzung eines Experten stärken. Der Staatschef sehe sich jetzt bestätigt in der "Paranoia", dass es Mächte gebe, die ihn und die Regierung stürzen wollten, sagte der Leiter des Istanbuler Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, Kristian Brakel, am Samstag: "Das ist natürlich jetzt Wasser auf die Mühlen all seiner Anhänger, die das auch immer schon geglaubt haben."
Zudem mache es für viele, die noch nicht so ganz überzeugt waren von dem geplanten Präsidialsystem samt Verfassungsänderung, glaubhafter, dass man einen starken Herrscher an der Spitze brauche. "Der Putschversuch war so nicht zu erwarten", sagte der 38-jährige Islamwissenschaftler.
Externe Beobachter seien davon ausgegangen, dass die Möglichkeiten des Militärs, einen solchen Putschversuch zu starten, in den vergangenen Jahren sehr stark eingeschränkt wurden. Die Regierung der islamisch-konservativen AKP habe große Teile der Militärführung inhaftiert, in Prozesse verstrickt und zwangspensioniert.
"Es gab jetzt im letzten Jahr, seitdem der Kampf gegen die PKK wieder tobt, eine Wiederannäherung der türkischen Regierung mit der Armee, in der eigentlich sehr viele Angebote gemacht wurden", sagte Brakel. Er nannte etwa ein Amnestiegesetz für mögliche Verbrechen, die die Armee in Kurdengebieten begehe. Daher sei man davon ausgegangen, das Militär habe ein Interesse an der Zusammenarbeit mit der Regierung.
Das zeige sich - eingeschränkt - auch jetzt: "Das trifft nämlich zumindest auf die Armeeführung zu, die ja zu großen Teilen diesen Putsch nicht unterstützt hat. Aber es trifft anscheinend nicht auf die unteren Befehlsebenen zu, die ja anscheinend maßgeblich verantwortlich gewesen sein sollen gestern Nacht", sagte Brakel, der seit einem Jahr das Istanbuler Büro der Grünen-nahen Stiftung leitet.
Über den Auslöser der missglückten Machtdemonstration könne er nur spekulieren, sagte der Fachmann. Ein zuvor zwangspensionierter Oberst sei beispielsweise als möglicher Drahtzieher benannt worden. Eine andere Möglichkeit, die auch die Regierung ins Spiel gebracht habe, sei die sogenannte Gülen-Bewegung. Die konservativ-islamische Bewegung hatte sich vor einigen Jahren mit der AKP überworfen.
Laut Brakel hatte es die Ankündigung gegeben, dass der Militärrat Anfang August über Maßnahmen entscheiden wolle, um die Bewegung aus den Reihen des Militärs zu entfernen - es könnte also sei, dass man dieser Aktion zuvorkommen wollte. Die Gülen-Bewegung habe jedoch schon in der Nacht erklärt, dass sie den Putsch verurteile. Folgen für Ergogan-Gegner oder Demokratie-Aktivisten seien noch nicht absehbar, sagte Brakel.
Für diejenigen, die in Opposition zu Ergogan treten, könnte das Leben allerdings schwieriger werden, räumte er ein: "Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Repressionen oder die Säuberungsmaßnahmen, die im Militär vorgenommen werden, auch Auswirkungen auf andere Kreise der Gesellschaft haben."
dpa/jp - Bild: Ozan Kose (afp)