Eine schallende Ohrfeige: Bei der Europäischen Union ist die Enttäuschung über die Brexit-Entscheidung riesengroß. Zum ersten Mal in der Geschichte der EU will ein Mitgliedsstaat die Scheidung - ein dramatischer und historischer Moment. "Ich bin sehr traurig über diese Entscheidung", sagt Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. "Aber ich respektiere sie."
In den EU-Verträgen ist die Möglichkeit des Austritts zwar vorgesehen. Weil das aber noch nie vorgekommen ist, weiß jetzt niemand so recht, wie Artikel 50 des Vertrags von Lissabon ausgelegt werden soll - also wie es konkret weitergehen soll.
Die Brexit-Macher in Großbritannien treten – man staune - bereits auf die Bremse. Es bestehe kein Grund zur Eile, sagten sie Freitagnachmittag in London. In Brüssel dagegen will man klare Verhältnisse schaffen. Und zwar so schnell wie möglich.
Man erwarte von der britischen Regierung, dass sie die Entscheidung ihrer Bürger unverzüglich in die Tat umsetze, sagt Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Bereits vor einigen Tagen hatte er ja schon gewarnt: „Raus ist raus“. Das heißt, man wird knallharte Verhandlungen mit Großbritannien führen. Es werden keine Extrawürste mehr für London gebraten, wohl auch um potenzielle Nachahmer abzuschrecken.
Was dich nicht umbringt ...
Ratspräsident Donald Tusk machte klar, dass die EU zu 27 Ländern weitermachen werde. Und er fügte noch einen Satz hinzu, den sein Vater ihm mit auf den Weg gegeben hatte. "Was einen nicht umbringt, macht einen stärker". Will heißen: Die EU wird auch den Brexit überleben.
Die harte Gangart gegenüber London wurde auch sofort deutlich: Am Dienstag wird es ein Krisentreffen der 27 EU-Staaten hier in Brüssel geben - ein Krisentreffen aller EU-Länder. Natürlich ohne Großbritannien.
Die meisten Regierungschefs in Europa bedauern die Entscheidung der Briten. Es gibt aber auch ganz andere Reaktionen und Rufe nach weiteren Referenden. Vor allem die Rechtspopulisten haben sich nicht lange bitten lassen. Beispiel Geert Wilders in den Niederlanden oder Marine Le Pen in Frankreich, um die zwei prominentesten zu nennen. Beide sprechen vom "Anfang vom Ende der EU" und fordern Volksabstimmungen, überall in Europa.
Panik an den Börsen
Die Märkte waren am Freitag weltweit geprägt von Kursrutschen, obwohl London und Brüssel dazu aufgerufen hatten, Ruhe zu bewahren. Man kann fast von einem schwarzen Freitag sprechen - aus zwei Gründen: Niemand hatte wirklich an einen Brexit geglaubt. Alle Anzeichen tendierten am Donnestag ja noch in Richtung „Kein Brexit“. Und niemand weiß so recht, wie es jetzt weitergeht. Das sorgt für Verunsicherung und die spürt man an den Börsen.
Das britische Pfund ist auf den niedrigsten Stand seit 30 Jahren abgerutscht. Der Dax in Frankfurt zeigte zeitweise ein Minus von zehn Prozent. Brüssel und Paris standen bei minus acht im roten Bereich. Diese heftigen Kursrutsche sind derzeit überall auf der Welt zu sehen.
Alain Kniebs - Bild: Leon Neal/AFP