Mit dem Goldenen Handschuh in seinen riesigen Pranken stand Manuel Neuer neben dem zwei Köpfe kleineren Lionel Messi und blickte fast mitfühlend auf den geknickten Superstar. Die Gefühlswelten des besten WM-Torwarts und des trotz der Finalniederlage zum besten WM-Spieler gekürten Argentiniers hätten unterschiedlicher nicht sein können. "Es ist unglaublich. Es ist ein großartiges Erlebnis", sagte der Bayern-Schlussmann, der als zweiter deutscher Torwart nach Bodo Illgner 1990 in einem WM-Finale zu Null gespielt. Und seiner Brasilien-Bilanz noch ein Highlight hinzufügte.
"Ganz Deutschland ist Weltmeister. Ich weiß nicht, wie lange wir feiern, aber wir werden jetzt immer mit einem Grinsen aufstehen", sagte Neuer. Gleich nach dem Schlusspfiff war er eingehüllt in eine Deutschland-Fahne über den Rasen des Maracanã gelaufen. Dieser WM-Titel wird immer auch mit seinem Namen verbunden sein.
Mit seinen viel bestaunten Leistungen als Libero-Torwart und Titan auf der Linie hat der 28-Jährige seine weltweite Ausnahmestellung untermauert. Als zweiter DFB-Keeper nach Oliver Kahn 2002 wurde er zum besten WM-Torwart gewählt. Weitere Auszeichnungen werden für Neuer unter Garantie folgen. Lionel Messi wird dann nicht traurig neben ihm stehen.
Party-Marathon der WM-Helden
Mit Triumphgesängen marschierten Deutschlands neue Fußball-Helden zur großen Weltmeisterparty ins Mannschaftshotel ein. "Die Nummer 1 der Welt sind wir" skandierte das Team um Golden-Boy Mario Götze beim Start in eine rauschende Triumph-Nacht in Rio de Janeiro. "Was passiert, weiß ich nicht, aber Rio wird auf jeden Fall nicht schlafen", kündigte Lukas Podolski eine lange WM-Party an, die erst am Dienstag vor dem Brandenburger Tor in Berlin enden soll. "Ich glaube, dieses tiefe Glücksgefühl wird für alle Ewigkeit bleiben", schwärmte Bundestrainer Joachim Löw, der seit dem Sonntag zu den Größten der deutschen Trainer-Zunft zählt.
24 Jahre nach dem Triumph von Rom setzte sich die DFB-Auswahl wieder die Krone des Weltfußballs auf, nach 1954, 1974 und 1990 nun zum insgesamt vierten Mal. Auf dem Rasen feierten die Weltmeister im goldenen Konfettiregen, auf der Tribüne jubelten Fans und Ehrengäste wie Bundespräsident Joachim Gauck und Kanzlerin Angela Merkel mit. "Da sind auch schon einige Wangenküsse ausgetauscht worden", verriet DFB-Präsident Wolfgang Niersbach.
Merkel hatte laut DFB in der Kabine mit einer Dose Bier auf den WM-Sieg angestoßen. Auch Champagner lag für die Helden von Rio bereit. Der Bundestrainer habe in den acht Jahre als Chef auch viel Kritik einstecken müssen, aber er sei "seinen Weg weiter gegangen", übermittelte der Verband einige Worte der launigen Kabinenansprache Merkels. Gauck verwies nochmal auf die Weltmeister von 1954, damals habe er am Radio den Sieg verfolgt. Er habe das Gefühl, dass die aktuelle Mannschaft "noch besser" gewesen sei. Die Spieler riefen freudetrunken: "Angie, Angie, Angie" und "Präsi, Präsi, Präsi".
Den historischen 1:0-Triumph nach Verlängerung gegen Lionel Messis Argentinier hatte vor 74.738 Zuschauern Joker Mario Götze in der 113. Minute perfekt gemacht. "Es ist wie im Traum", sagte der Matchwinner. Er stoppte eine Flanke von André Schürrle mit der Brust und jagte den Ball dann in die lange Ecke. "So ein Moment ist pures Glück, pure Freude und auch Stolz", konstatierte Niersbach, der sich an die Jubelszenen beim letzten deutschen WM-Triumph 1990 in Rom erinnert fühlte. "Es war ein Nervenspiel. Ich wurde immer besorgter", gestand Staatsoberhaupt Gauck nach dem großen Tag für den deutschen Fußball.
"Man muss immer überlegen, wie man so eine Zeit prägen kann und die kann mal letztlich nur mit Titeln prägen", erklärte Teammanager Oliver Bierhoff. Bierhoff kündigte an, seinen Vertrag bis 2016 erfüllen zu wollen. "Und wie ich Jogi die letzten Tage und Wochen gesehen habe, gehe ich auch bei ihm davon aus", sagte der Teammanager. Für Niersbach besteht nicht der Hauch eines Zweifels: "Er wird auch in zwei Jahren Trainer sein."
Löw, dessen Vertrag bis 2016 läuft, gab in der Nacht seines größten Triumphes selbst kein klares Bekenntnis zur Zukunft ab, wollte erst einmal nur genießen. "Heute Nacht werde ich nicht unbedingt in ein Loch fallen. Und Montag wahrscheinlich auch nicht. Denn da fahren wir nach Berlin - und da wollten wir hin", erklärte der Bundestrainer. "Uns wird dieser Titel für die Zukunft einen Schub geben in unserem Land."
Völlig ausgepowert schleppten sich einige der Weltmeister durch die Stadionkatakomben. Erst als die Marschgruppe aus Manuel Neuer, Sami Khedira, Mesut Özil, André Schürrle und Per Mertesacker laut grölend die Kabine verließ, kam wieder neuer Schwung in die designierte Party-Gesellschaft. "Die Nummer 1 sind wir", "So ein Tag so wunderschön wie heute" oder "Campeones" stimmte das Quintett an und löste damit die Interviews der Mitspieler nach und nach auf. "Es wird eine lange Nacht", prognostizierte Bastian Schweinsteiger. Am Dienstagvormittag werden die Weltmeister den goldenen Pott auf der Fanmeile in der deutschen Hauptstadt präsentieren. "Wir werden mit den Fans noch eine Riesenfeier abreißen", kündigte Schürrle an.
Gefeiert wurde in Rio in geschlossener Gesellschaft mit Ehrengästen, Freunden, Familien und Spielerfrauen. Bei den besseren Hälften seiner Stars hatte sich Löw noch auf dem Platz für ihre Unterstützung bedankt. Frau Löw war auch im Stadion, aber nicht im Innenraum. "An Tagen wie diesen, wünscht man sich Unendlichkeit", schallte aus den Lautsprechern im Estádio do Maracanã. Selten war der Song der "Toten Hosen" so zutreffend wie an diesem Abend.
In Berlin feierten rund 300.000 Menschen in der Nacht den deutschen WM-Sieg. Vor dem Brandenburger Tor wurde ein Feuerwerk gezündet. Auch in anderen Großstädten wie Hamburg, München und Köln sahen zahlreiche Fans das Finale auf riesigen Leinwänden und zündeten Böller und Raketen. Autokorsos fuhren durch die Straßen.
Zwischenfälle in Buenos Aires
Nach der Niederlage ihrer Mannschaft im Finale der Fußball-WM gegen Deutschland haben enttäuschte argentinische Fans im Zentrum von Buenos Aires für Randale gesorgt. Mindestens 70 Menschen, unter ihnen 15 Polizisten, wurden verletzt, als am Sonntagabend (Ortszeit) einige hundert Menschen begannen, Schaufenster zu zertrümmern und Autos zu beschädigen, wie der Nachrichtensender TN nach Angaben des Notdienstes berichtete. Rund 50 Menschen wurden festgenommen. Die Polizei setzte Tränengas und Gummigeschosse ein.
Die Randalierer griffen die Fahrzeuge von TV-Teams an, zerstörten Verkehrsampeln und plünderten eine Bar und ein Theater aus.
Die Mehrzahl der Fans zog rund drei Stunden nach Abpfiff des Spiels im Maracaná-Stadion von der Umgebung des Obelisken in der argentinischen Hauptstadt ab. Bis dahin wurde dort trotz der 0:1-Niederlage die Leistung der Nationalelf um Lionel Messi laut und friedlich gefeiert. Der freie Verkauf alkoholischer Getränke könnte nach Angeben der Medien die Ausschreitungen gefördert haben.
dpa/vrt/jp - Bild: 14.7.2014 Patrik Stollarz (afp)