Ein dreifacher Toursieger wünscht sich einen anderen Empfang: Bei der offiziellen Vorstellung der 22 Tour-Teams wurde Alberto Contador vom französischen Publikum ausgepfiffen. Der Dopingverdacht wegen des Nachweises von Clenbuterol ist trotz des Freispruchs seitens des spanischen Verbandes nicht weggewischt, auch wenn Contador nach wie vor beteuert, nur verseuchtes Rindfleisch gegessen zu haben und seither ganz auf Fleischverzehr verzichtet.
Viel Beifall gab es dagegen bei der Teamvorstellung für den letztjährigen Tour-Zweiten Andy Schleck und das um ihn herum gebaute neue Team Leopard Trek. Diesmal will der Luxemburger länger auf die Hilfe seines großen Bruders Fränk zählen können, als im vergangenen Jahr, als dieser nach einem Sturz frühzeitig ausschied. Vielleicht schlüpft ja sogar der ältere von beiden in die Favoritenrolle. Jedenfalls erwarten die Radsport-Experten nicht zwangsläufig nur einen Zweikampf zwischen Contador, als dem diesjährigen Giro-d'Italia-Sieger, und Andy Schleck, der in dieser Saison noch nicht die hohen Erwartungen erfüllen konnte. Aber der Auftakt zum Kräftemessen mit Contador wird ohnehin erst in der zweiten Tour-Woche erwartet, wenn es in die Pyrenäen geht.
Belgien gespannt auf Van den Broeck und Gilbert
Gespannt schaut man in Belgien, ob sich Jurgen Van den Broeck nach dem überraschenden fünften Platz 2010 in diesem Jahr noch weiter im Klassement verbessern kann, vielleicht sogar den Sprung aufs Podiums schafft, wie zuletzt Lucien Van Impe 1981 als Gesamtzweiter. Beim Vorbereitungsrennen Dauphiné hat Van den Broeck immerhin eine Etappe gewonnen.
Sein Team Omega-Pharma-Lotto setzt zu Beginn der Tour de France auf den Überflieger des Frühjahrs: Philippe Gilbert. Vergangenen Sonntag krönte er sich noch zum Belgischen Straßenmeister - nach dem Dreiklang Amstel-Gold-Race/Flèche Wallonne/Lüttich-Bastogne-Lüttich, nach Siegen auch in unserer Region bei der Belgien-Rundfahrt und der ENECO-Tour. Dem Mann aus Remouchamps scheint einfach alles zu gelingen. Nun sehnt er sich nach nichts mehr, als das frisch erworbene Trikot in den belgsichen Landesfarben mit dem Maillot Jaune zu tauschen - und sei es nur für einen Tag.
Als Seriensieger hat Gilbert vielleicht schon am Samstag die Gelegenheit, das Gelbe Trikot überzustreifen. Wie 2008 gibt es auch diesmal keinen Zeitfahrprolog, sondern eine ganz normale "Etappe en ligne" mit einem lockeren Auftakt für die Kameras über die glitschige "Passage du Gois", die nur bei Niedrigwasser zu befahren ist. Die Zielankunft liegt auf dem Hügel Mont les Alouettes - also ganz nach dem Geschmack von Philippe Gilbert.
Teamzeitfahren am Sonntag
Am Sonntag steht ein Teamzeitfahren auf dem Programm, bei dem sich erste Zeitunterschiede ergeben könnten, auch wenn es rund um Les Essarts diesmal nur 23 Kilometer sind. Nach einer Flachetappe für die Sprinter wäre vielleicht der Dienstag mit einem giftigen Schlussanstieg zum "Mûr de Bretagne" nach dem Geschmack von Philippe Gilbert - an dem Tag, wo er 29 wird.
Traumhafte Aussichten für das Team Omega Pharma Lotto, wenn da nicht diese Woche die Dopingmittel-Affäre um den Ex-Profi Wim Vansevenant aufgetaucht wäre, der für das Team gelegentlich Ehrengäste kutschierte. Dass ihm das in Australien georderte Hormonpräparat "TB-500" dazu dienen sollte, um selbst in Form zu bleiben, glaubt ihm kein Mensch - auch wenn er nach dem Verhör wieder laufen gelassen wurde. Mit ähnlichen Gerüchten sah sich unter der Woche der Rennstall BMC des Top-Drei-Anwärters Cadel Evans konfrontiert.
Das alles wird unzählige Radsportfans nicht davon abhalten, die Tour "live und hautnah" an den Straßenrändern zu verfolgen - oder vorm Fernsehgerät. Als ganz besondere Hingucker empfehlen sich dabei wie immer die Etappen durch das Hochgebirge, etwa am 14. Juli mit Tourmalet und Ziel in Luz-Ardiden oder eine Woche später, am belgischen Nationalfeiertag die Zielankunft am Galibier. Zum 100-jährigen der "Erstbesteigung" dieses Alpengipfels steht er am folgenden Tag gleich noch einmal auf dem Programm, diesmal von der schwierigeren Nordseite her - ehe es zum Schluss nach Alpe D'Huez hinaufgeht.
Sollte bis dahin der Kampf um den Gesamtsieg nicht entschieden sein, wird das tags darauf im Einzelzeitfahren von Grenoble der Fall sein - vor der Apotheose auf den "Champs Elysées". Bleibt zu hoffen, dass es hinterher nicht wieder Pfiffe für den Gewinner der "Tour de France" gibt.
Archivbild: Peter Deconinck (belga)