Seit der Übernahme des Fußballclub Standard Lüttich hat Roland Duchâtelet jeden Kommentar über seine Pläne mit dem neuen Verein verweigert. Klar, dass andere das Vakuum nutzen und laut über die Beweggründe des Geschäftsmannes nachdenken.
Dass Roland Duchâtelet ähnlich wie Roman Abramowich beim FC Chelsea einen Fußballclub als Spielwiese nutzt, in die jährlich Millionenbeträge gepumpt werden müssen, damit der Verein erfolgreich bleiben kann, ist kaum anzunehmen.
Das entspricht nicht dem Typus des zwar millionenschweren aber doch bodenständigen Unternehmers. Deshalb hatte diesen Roland Duchâtelet auch niemand auf der Rechnung, als über die neuen Eigner von Standard Lüttich spekuliert wurde. Es wurde ein echter Überraschungscoup.
Entsetzen in Sint Truiden
In Sint Truiden war man naturgemäß entsetzt, dass der bisherige Vereinspräsident so plötzlich von Bord gesprungen ist und jetzt am anderen Ende der nächtlichen Amüsierstraße aktiv wird. Die Beschwichtigung, er werde Sint Truiden weiter in seinem Herzen tragen und die Fertigstellung des Stadionumbaus über seine Frau vorantreiben, wurde in Sint Truiden allenfalls als Beruhigungspille für den ersten Schreck empfunden.
Kein Wunder, dass aus dem Umfeld des limburgischen Erstligisten auch skeptische Kommentare über Duchâtelets Erfolgsaussichten an der Maas laut werden. Er sei zwar wirtschaftlich überaus erfolgreich, aber nicht mit dem Fußball groß geworden ist, war da zu vernehmen.
In Lüttich wird sich herausstellen, ob die Rezepte eines erfolgreichen Unternehmens auch auf einen Fußballclub übertragbar sind. Sicherlich nicht 1:1. Denn der moderne Fußball ist zwar längst mehr Kommerz als Sport, allerdings gibt es wohl kaum ein Produkt, dessen Erfolg von so vielen Unwägbarkeiten abhängt wie Fußball. Nirgends liegen Erfolg und Untergang so nah beieinander wie gerade in dieser Sportart.
Der Reiz des Spiels
Nur im Fußball entscheidet oft eine einzige genutzte oder ungenutzte Chance über Sieg und Niederlage, Meisterschaft und Abstieg. Chancenverwertung lässt sich zwar optimieren, aber nicht kaufen. Das wiederum macht aber auch den Reiz aus. Vielleicht hat dieses Kribbeln ja inzwischen auch einen Roland Duchâtelet erwischt, der in Lüttich die Chance sieht, es auch mal eine Etage höher zu versuchen als in Sint Truiden.
Viel zu verlieren hat der Flame, dem offenbar 500 Millionen gehören, ohnehin nicht. Für 41 Millionen Euro hat er Standard Lüttich gekauft, einen Verein, dessen Vermögen auf 33 Millionen geschätzt wird und der im letzten Jahr zehn Millionen Gewinn eingefahren hat. Dank guter Transfergeschäfte. Doch solche Treffer können genau so gut nach hinten abgehen und Verluste in gleicher Höhe zur Folge haben.
Doch das weiss Roland Duchâtelet, der sich in Lüttich ganz sicher zunächst einmal mit Leuten umgeben wird, die ihn beraten werden. Dass ein Marc Wilmots zu seinen guten Bekannten gehört, kann da ganz sicher nicht schaden.
Besser ein Flame mit Lütticher Wurzeln ...
Dass die Übernahme eines wallonischen Prestigeclubs durch einen flämischen Unternehmer in Lüttich selbst so positiv aufgenommen wurde, kommt nicht von ungefähr. Zum einen hat Standard Lüttich nicht nur bei den französischsprachigen Fans viele Sympathisanten, sondern auch in der deutschsprachigen Gegend und zahlenmäßig noch viel mehr in der angrenzenden Provinz Limburg. Und: Besser ein Flame mit Lütticher Wurzeln als ein anonymer Konzern aus den Niederlanden.
Außerdem war Roland Duchâtelet in der jüngeren Vergangenheit als Präsident von Sint Truiden oft an der Seite von Standard Lüttich, um sich gegen die Beherrschung der Pro League durch die Großen Vier Anderlecht, Brügge, Gent und Genk aufzulehnen. Vielleicht war ja gerade die Aussicht, über sportlichen und wirtschaftlichen Erfolg dem Diktat der G4 auf Augenhöhe widersprechen zu können, zumindest im Unterbewusstsein ein auslösender Faktor für den Entschluss von Roland Duchâtelet. Es sieht jedenfalls so aus, als würde die erste Liga da noch einmal um einiges interessanter.
Bild: Bruno Fahy (belga)