Kein rosaroter Jubel und Trubel, eine Militär-Kapelle spielte ein ergreifendes Trompeten-Solo, dann folgte eine Schweigeminute: Der Giro d'Italia trug nach dem tragischen Unfalltod des Radprofis Wouter Weylandt beim Start der 4. Etappe in Genua Trauer.
Nach kurzer Besinnung machten sich die Radprofis am Dienstag mit Weylandts Leopard-Team an der Spitze auf die traurige Reise nach Livorno. Der Vater des Opfers hätte die Mannschaft gebeten, weiter zu fahren, erklärte Leopard-Manager Brian Nygaard. Die 216 Kilometer lange Etappe bleibt ohne Wertung, erst am Mittwoch heißt es beim Giro wieder: Business as usual.
Der Teambus der Luxemburger Leopard-Mannschaft war am Dienstag vor dem Start abseits geparkt und mit einem Zaun vor Schaulustigen abgesperrt worden. Fahrer aus allen Rennställen kondolierten der Teamleitung - von den sonst üblichen Aufgeregtheiten vor Giro-Etappen war im Quarto dei Mille auf einem riesigen Parkplatz im quirligen Hafen von Genua nichts zu spüren.
"Ich fuhr im vierten Wagen hinter Weylandt. Ich sah ihn durch die Luft fliegen. Dann lag er in seinem schwarzen Trikot auf dem Asphalt - sein Gesicht war voller Blut. Es war furchtbar", schilderte Pietro Algeri, Sportlicher Leiter bei Movistar, der Nachrichtenagentur dpa, die tragischen Vorgänge vom Vortag. Weylandts Teamkollegen wollten sich nicht äußern. Die meisten Fahrer trugen einen Trauerflor.
Weylandt hatte offensichtlich seit dem Giro-Start Angst um seine Gesundheit. Nach dem Auftakt der Italien-Rundfahrt hatte er seinem Manager Jef van den Bosch eine SMS geschickt. Das Rennen sei sehr gefährlich und nervös. "Das bereitet mir Sorgen", schrieb Weylandt nach Aussage seines Managers, der am Dienstag vom Onlinedienst der belgischen Tageszeitung "Het Laatste Nieuws" zitiert wurde.
Kritik wird immer lauter - purer Nervenkitzel
In die überall spürbare Trauerstimmung - sogar Autogrammsammler hielten sich aus Pietät zurück - mischte sich Kritik. Radsport-Veranstaltungen würden mit immer mehr vermeintlichem Nervenkitzel gewürzt, kritisierten Aktive und die Presse in Spanien. "In den letzten Jahren gibt es die Tendenz, für immer mehr Spektakel zu sorgen. Vor 40 Jahren sind die Profis auf normalen Straßen gefahren und nicht wie wir in den Dolomiten über Schotterpisten. Ich habe nichts gegen schwere Etappen. Aber die Sicherheit der Fahrer muss gewährleistet sein", sagte der Italiener Marco Pinotti, Träger des Rosa Trikots vom Samstag und Sonntag.
"Der Radsport ist in der Hand von Veranstaltern, die möglichst spektakuläre Rennen anbieten wollen, damit die TV-Stationen live übertragen. Schmerz, Angst und extreme Leistung verkaufen sich gut. Für die Routen werden immer steilere Anstiege und gefährlichere Abfahrten ausgesucht", schrieb die Zeitung "Sport". Weylandt sei das Opfer "einer brutalen Streckenführung" geworden, befand "El Mundo".
Das Szenario der neutralisierten Etappe glich am Dienstag der Situation nach dem Unfalltod des italienischen Olympiasiegers Fabio Casartelli bei der Tour de France 1995. Damals ließ das Fahrerfeld am folgenden Tag dem Casartelli-Team Motorola den Vortritt. Drei Tage später hatte Lance Armstrong nach einer beherzten Attacke seinen Solosieg dem verstorbenen Teamkollegen gewidmet. Beim Überqueren der Ziellinie in Limoges streckte der Texaner beide Arme in den Himmel - einen emotionaleren Moment hatte der Radsport selten erlebt.
"Ich bin geschockt und traurig", hatte der Amerikaner nach dem Unfall getwittert. Mit Trauer und Anteilnahme hatten auch Toursieger Alberto Contador und andere Profis und Funktionäre reagiert. "Es ist eine schreckliche Geschichte und ein dunkler Tag für den Radsport", erklärte der Spanier. "Er war jünger als ich."
Weylandt sollte eigentlich gar nicht fahren
Rennarzt Giovanni Tredici erklärte: "Er hat nicht gelitten. Er war auf der Stelle tot. Es hätte eines Wunders bedurft, um ihn zu retten." Aus Rücksicht auf die Hinterbliebenen und die Teamkollegen hatte das italienische Fernsehen RAI keine Bilder vom Unfallhergang gezeigt.
Nach Aussage aus seinem Team hatte Weylandt bei der Abfahrt vom Passo del Bocco etwa bei Tempo 75 mit dem Vorderrad eine Betonmauer touchiert, als er sich umgeschaut hatte. Er stürzte mit dem Gesicht auf die Mauer. Bereits nach 30 Sekunden sei der Genter am Unfallort ärztlich versorgt worden. Dort legten am Dienstag seine Angehörigen Blumen nieder.
Ironie des Schicksals: Eigentlich war Weylandt gar nicht für den Giro vorgesehen. Der 26-Jährige sollte im September bei der Vuelta starten, musste aber einspringen, nachdem der Leopard-Sprinter Daniele Bennati aus Italien nach einem Sturz bei der Tour de Romandie für den Giro ausgefallen war.
Weylandt senior hatte am Dienstag in Levagna seinen Sohn identifizieren müssen. Der Vater war am Montagabend vorher mit Weylandts Freundin Anne Sophie, die im September ein Kind erwartet, in Mailand eingetroffen.
dpa/fs - Bild: Carlo Ferraro (epa)