Dort, wo jetzt eine der neuen Tribünen steht, stand zur Zeit von Günter Brüll und Karli Franssen eine imposante Backsteintribüne, in deren Schatten ein Schwarm junger Kicker in der Halbzeit auf den heiligen Rasen stürmte und sich in Torschüssen übte.
Pure Nostalgie? Nicht nur.
Denn die Entwicklung vom Spiel "Elf Freunde sollt ihr sein" zur Prozesslawine geschah nicht von ungefähr. Und in Belgien, wo alles manchmal ein wenig extremer ist, als anderswo, ist die Entwicklung besonders deutlich. Nach dem klugen Richterspruch - der VRT-Reporter nannte ihn salomonisch - reagierte der Verband mit erstaunlicher Deutlichkeit: Er erwägt die Einrichtung eines verbandseigenen Schiedshofes, mit Profi-Richtern.
Die Bestrebung dürfte klar sein: die Zukunft der verbandseigenen Sportgerichtbarkeit zu erhalten, angesichts der drohenden Konkurrenz der ordentlichen Gerichte - denn viel steht auf dem Spiel, die eigene Glaubwürdigkeit und der Platz, den sich der Profifußball in der Gesellschaft erstritten hat.
Dass sich dies alles jetzt am Fall der strittigen Lizenz des Spielers des Lierse SK entzündet, hat natürlich mit den eklatanten Schwächen und Fehlleistungen des belgischen Fußballverbandes zu tun, mit schiedsrichterlichen Fehlleistungen und auch mit nicht immer überzeugenden spielerischen Leistungen des Eupener Erstligisten. Und sicherlich mit der zweifelhaften Entscheidung, eine Sportart - die auch deshalb besticht, weil sie (mal abgesehen von der Abseitsregel) sich durch einfache, von jedermann zu verstehende Regeln auszeichnet - durch Play-Off-Runden zu verwässern. All das ist oft thematisiert worden.
Doch zu der jetzt erfolgten Zuspitzung wäre es nicht gekommen, ohne die gesellschaftliche Wandlung des Fußballs vom Sport zum "Global Player" in der internationalen Wirtschafts- und Finanzwelt. Mehr noch, zum politischen Akteur weltweit. Übertrieben? Mitnichten. Sagte nicht Sepp Blatter, der Bill Gates des Global Players FIFA, er leiste mit einer WM mehr Entwicklungshilfe in Afrika als die Staatengemeinschaft mit ihren mageren paar Prozent Entwicklungshilfe? Wobei er nicht mal übertrieben hat.
Geradezu rührend war der belgisch-holländische Versuch, mit der Zeitreise von El Sympatico Jean Marie Pfaff, flankiert von dem dem früheren smarten Ballkünstler Johan Cruyff und dem treuherzig dreinblickenden Paul van Himst, sich für die WM 2018 qualifizieren zu wollen. Blatter wird es nett gefunden haben, aber gegen die Verlockungen des russischen Markts wirkten die Veteranen wie Relikte aus längst vergangenen Zeiten - chancenlos. Und dann erst 2022, Katar, welch geopolitische Aussicht! Aber selbst Blatter muss erkennen, das nicht alles planbar ist, die Jugend Tunesiens kam ihm zuvor und machte ihre eigene arabische Revolution.
Für soviel globalen Einfluss bedurfte es eines Masterplans, wozu sich Schweiß und Schlamm nicht eigneten. Kein Platz mehr für die Paul Gascoignes, und auch nicht für die Eigenwilligkeit à la Eric Cantona, eher schon für die eines Beckham, weil vermarktungsfähig als Becks. Für das große Mediengeschäft und die Verlockungen des Geldes mit seinen Irrungen und Wirrungen bedurfte es neuer Signale, wie gelbe Karten für sich das Trikot vom Leib reißen nach dem Treffer, oder den Ball ins Netz dreschen nach dem Pfiff des Schiris, also all das, was mit Spielfreude zu tun hat, aber nicht mit cleanem Auftritt und stromlinienförmigem Ablauf. Andererseits: Nur so konnten die Regierungen gewonnen werden, hohe Summen an Steuergeldern für die Bekämpfung des Hooliganismus aufzuwenden.
Was war sie schön, die Zeit, als es genügte, seiner Empörung mit einem Schrei "arbitre chocolat" Luft zu machen, um sich dann schlicht zu freuen, nach dem Spiel sei vor dem Spiel.