Dr. Manunzio, warum ist Menstruation im Sport kein Thema in der Öffentlichkeit?
Zum einen glaube ich, war einfach lange die Wichtigkeit gar nicht so präsent. Also ich finde, wenn man sich mal eine Hormonzyklus-Kurve einer weiblichen Athletin anguckt, dann wird schlagartig klar: Okay, hier ist irgendwas, da müssen wir drüber reden, da passiert so viel. Es grenzt an ein Wunder, dass Frauen Leistung abrufen können - überspitzt gesagt. Und das war vielen, glaube ich, einfach nicht so präsent. Und dann ist es tatsächlich so, dass viele Trainer eben auch männlich sind und das auch so ein bisschen ein Tabuthema ist. Man hat so eine Schamgrenze, das anzusprechen, weiß auch nicht so richtig: Greife ich da jetzt irgendwie zu sehr ins Privatleben ein? Darf ich das überhaupt abfragen? Die Frau war ja auch nicht so im Fokus, muss man ehrlich sagen. Es waren die Profifußballer, die im Fokus waren, und das kommt ja erst so nach und nach, dass da jetzt irgendwie gleichgezogen wird und damit das Thema zum Glück auch an die Öffentlichkeit kommt. Es ist nicht so, dass es zu diesem Thema nicht schon wissenschaftliche Studien gibt, die zwar 50 Jahre alt sind. Aber wie wir gerade schon herausgestellt haben, das war halt nicht so Thema in der breiten Masse und ich bin froh, dass sich das jetzt ändert und dass das thematisiert wird, weil das eine ganz, ganz wichtige Rolle in der Trainierbarkeit der Frau spielt.
Welchen Einfluss hat denn so ein weiblicher Zyklus auf sportliche Leistungsfähigkeit? Sie haben ja schon gesagt, dass es zeitweise dann an ein "Wunder" gleicht, was für Leistungen Frauen dann abrufen können.
Na ja, ein Wunder nicht. Aber ist es schon klar, dass die Trainierbarkeit halt mit den Hormonen zusammenhängt. Und wenn man sich dann diese Schwankungen anguckt, dann wird einem einfach ganz schnell klar, dass es fast logisch ist, dass man nicht in jedem Abschnitt des Zyklus gleich trainierbar ist und auch nicht die Leistung abrufen kann. Also zum Beispiel um den Eisprung rum ist die Frau eher angriffslustig und damit eben auch besser für den Wettkampf geeignet, als wenn man dann hin zur Blutung schaut, wo sie nicht nur körperliche Beschwerden unter Umständen haben kann, Stichwort PMS zum Beispiel, sondern auch depressive Verstimmungen. Und dass man da vielleicht nicht so angriffslustig ist, weil man sich eh schon irgendwie relativ schlecht fühlt, ist logisch. Wir wissen, dass es einen ganz großen Unterschied machen kann, in welcher Zyklusphase man trainiert. Also man ist zum Beispiel in der Follikel-Phase, also in der ersten Zyklusphase vor dem Eisprung, deutlich besser trainierbar, was Krafttraining angeht zum Beispiel, grundsätzlich in den Phasen mit höheren Östrogen-Konzentrationen. Und wenn man das berücksichtigt, kann man natürlich aus dem Training noch mal deutlich mehr rausholen.
Ja, das ist vielleicht ein gutes Stichwort. Immer mehr Profi-Fußballvereine setzen vermehrt auf Menstruation-Coaches. Ist das ein richtiger Weg, der auch dann im Breitensport berücksichtigt werden sollte?
Also ich muss gestehen, mir ist es nicht so ganz klar, was ein Menstruations-Coach sein soll. Was wir im Breitensport versuchen zu etablieren, wo auch ein ganz toller interdisziplinärer Workshop geschaffen wurde, wo eben Gynäkologen, Sportmediziner und Trainer sich austauschen, ist einfach die aktuellen Trainer, also gar nicht extra Menstruations-Coaches, zu sensibilisieren und zu schulen und zu sagen: Hey, ihr müsst wissen, wie der Zyklus eurer Athleten ist. Also wann ist die Periode, wann ist der Eisprung? Findet überhaupt noch ein Eisprung statt? Auch das ist so ein wichtiges Thema. Der Begriff "Relatives Energie-Defizit im Sport" ist ein Riesenthema, gerade in Ausdauersportarten oder in Gewichtsklassen-Sportarten, wo durch zu viel Training, zu hohe Umfänge, zu wenig Körperfett, also entsprechend zu wenig Regeneration, falsche Ernährung, die Blutung dann ausfällt oder zumindest der Eisprung ausfällt, aber vielleicht noch eine Blutung stattfindet. Und das ist ein Riesenproblem, weil das eben mit Osteoporose einhergeht, also erhöhten Anfälligkeiten für zum Beispiel Ermüdungsbrüche, aber eben auch die Fertilität betrifft. Und es kann sein, dass die Leistungssportlerin sich dann in jungen Jahren schon einen späteren Kinderwunsch durch das Training eben erschwert oder sogar unmöglich macht. Und deshalb gehört das alles unbedingt in den Fokus und muss thematisiert werden. Also regelmäßige Zyklus-Abfragen gehören dazu, Körperfett-Abfragen gehören dazu, Ernährungs-Abfragen. Also grundsätzlich sollte man, wenn man Erfolg haben will, sich da breiter aufstellen. Für einen Hobbysportler, der einmal 20 Minuten laufen geht, ist das sicherlich kein Thema. Aber sobald wir in den Leistungssport-Bereich gehen, finde ich, gehört das definitiv absolut dazu.
Im Prinzip sollte es dann doch auch das Natürlichste der Welt sein, darüber zu sprechen, oder?
Das sollte das Natürlichste der Welt sein und es wird für alle Beteiligten auch einfacher werden. Also wir hatten jetzt gerade in dieser Expertenrunde, die ich angesprochen habe, einen Trainer, der viele Frauen im Leistungssport trainiert und der ganz klar sagt: Dadurch, dass ich den Zyklus meiner Frauen kenne, kann ich Wettkämpfe entsprechend planen. Wenn ich weiß, das fällt in eine ungünstige Zyklus-Phase, dann nehme ich lieber einen anderen Wettkampf. Das kann man auch im Breitensport machen. Wenn jedes Wochenende ein Turnier ist und man muss eh nicht immer eingesetzt werden, dann wird man halt entsprechend an einem Wochenende, wo es nicht so gut im Zyklus passt, vielleicht lieber nicht eingesetzt. Das spart ja allen Frust: sowohl der Athletin als auch dem Trainer, der Trainerin oder auch der Mannschaft. Und daher ist dieses Wissen eigentlich Gold wert, weil man ja unnötigen Frust vermeiden kann. Auch Verletzungsanfälligkeiten sind im Zyklus unterschiedlich. Und das sind ja alles Dinge, die wahnsinnig wertvoll sind für so eine Planung und grundsätzlich für den Erfolg.
Als Trainer kann man auch ein Stück weit darauf achten. Es gibt ja auch Sportarten, Übungen, die etwas entlastend sein können bei Regelschmerzen, oder?
Absolut! Also früher hat man ja bei allen Befindlichkeitsstörungen die Leute ins Bett gepackt, davon sind wir ganz weit weg. Wir wissen, dass Regelschmerzen wirklich ganz, ganz schlimme Schmerzen sein können, die unter Umständen die Frauen plagen. Zum Glück nicht jede, aber das kann total helfen. Man muss es aber halt auch schaffen, die Frauen abzuholen, weil auch die depressive Verstimmung darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wir reden hier nicht von ein bisschen schlechter Laune, sondern das kann teilweise wirklich in richtige, ernste Depressionen sogar gehen. Wenn man es aber schafft, die Frauen dann abzuholen und zu sagen: 'Hey, komm, ich weiß, heute ist nicht so gut, du musst jetzt keine harten Intervalle machen, aber schau doch mal, dass so ein bisschen locker trabst oder schwimmen gehst oder Rad fährst, und du wirst dich danach besser fühlen.' Und in aller Regel ist es so: Die Krämpfe werden gelöst, die Durchblutung wird gefördert, dadurch verschwinden Verspannungen und auch die Psyche wird wieder angehoben. Das ist ein total wichtiges und wertvolles Tool, finde ich, was wir haben und was wirklich vernachlässigt wurde. Und ich freue mich, wenn das jetzt anders wird. Deshalb bin ich auch sehr dankbar für dieses Interview.
cr/km/mg