"Revolution", schreiben einige Zeitungen. Eigentlich müsste man sagen: "Revolution, die Dritte". Der Rekordlandesmeister RSC Anderlecht kommt nicht zur Ruhe. Präsident Marc Coucke hat zum dritten Mal den Laden komplett umgekrempelt. Die Meldung schlug am Dienstag wie eine Bombe ein. Denn Coucke hat sich nicht darauf beschränkt, einige Spielfiguren zu bewegen, er hat neue aufs Brett gestellt. Und nicht egal wen. Es sind bekannte Gesichter, sehr bekannte, die Coucke - gleich einem Magier - wie Kaninchen aus dem Hut gezaubert hat.
Zum Beispiel Patrick Lefevere. Jeder Radsportfan kennt diesen Mann, verehrt ihn vielleicht sogar. Patrick Lefevere ist quasi der Radsportgott in der Radsportregion Flandern. Als Sportdirektor kann er sich unzählige Erfolge an die Fahne heften. Er hat Fahrer wie Johan Museeuw, Frank Vandenbroucke oder Tom Boonen groß gemacht. Im Moment leitet er das Team Deceuninck - Quick-Step, die wohl erfolgreichste Mannschaft in der Szene. Lefevere soll ab jetzt als unabhängiges Mitglied im Aufsichtsrat sitzen. Das gilt übrigens auch für den Brüsseler PS-Bürgermeister Philippe Close. Man beeilte sich aber, klarzustellen, dass Close für diese Funktion kein Geld kassieren wird.
Neben Lefevere und Close ist Wouter Vandenhaute auch so eine überraschende Personalie. Der Medien- und Sportmagnat gehört zu den mächtigsten Leuten in Flandern in der Fernseh- und auch in der Radsportwelt. Pikante Anekdote: Dieser Wouter Vandenhaute war auch Kandidat für die Übernahme des RSC Anderlecht. Der gewiefte Marc Coucke hatte den Konkurrenten seinerzeit ausgestochen. Vandenhaute ist es nicht gewöhnt zu verlieren.
Nur scheint Coucke seinerseits auch nicht so stur und beratungsresistent zu sein, wie man ihm schonmal nachsagt. Jetzt hat Coucke dem einstigen Konkurrenten die Hand gereicht. Und der wiederum ist offensichtlich auch nicht nachtragend, und nahm das Angebot an: Vandenhaute wird ab jetzt als externer Berater fungieren. Er wird also nicht offiziell Teil des Anderlecht-Organigramms. Das mag auch damit zu tun haben, dass Vandenhaute nebenbei auch eine Management-Agentur leitet, die einige aktive und ehemalige Anderlecht-Spieler unter Vertrag hat.
Dieser Vandenhaute ist offensichtlich mit dafür verantwortlich, dass Anderlecht jetzt auch einen neuen Geschäftsführer bekommt. Und das ist Karel Van Eetvelt. Beide kennen sich sehr gut, der eine wollte offensichtlich nicht ohne den anderen.
Karel Van Eetvelt ist auch nicht irgendwer. Wenn er in der Sportwelt bislang auch noch unbekannt war, auf der politischen Bühne war Van Eetvelt lange Jahre ein bekanntes Gesicht. Nicht aktiv als Politiker, Van Eetvelt war der Chef der flämischen Selbständigenvereinigung Unizo. In dieser Funktion war er Mitglied der so genannten Zehner-Gruppe, in der die wichtigsten Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften vertreten sind. Van Eetvelt war jemand, auf den man hörte, wenn er sich zu Wort meldete. In den letzten zwei Jahren war er Geschäftsführer des Banken- und Finanzverbandes Febelfin.
Van Eetvelt verfügt über eine gehörige Portion Charisma. Es war, so schien es, nur eine Frage der Zeit, bis er in die Politik wechseln würde. Nicht vergessen: Einer seiner Vorgänger als Chef von Unizo war ein gewisser Kris Peeters. Entsprechend war es fast schon folgerichtig, dass auch der Name Karel Van Eetvelt im Raum stand, als die CD&V einen neuen Vorsitzenden suchte. Van Eetvelt hatte sich da aber offensichtlich schon von der traditionellen Parteienlandschaft verabschiedet. Noch in der vergangenen Woche hatte er in einem Presseinterview angedeutet, dass er eine eigene politische Bewegung gründen wolle. Das war um den Dreikönigstag. Da musste er eigentlich schon wissen, dass sein künftiger Weg wohl eher lila gefärbt sein würde - das ist ja die Farbe des RSC Anderlecht.
Jetzt wird dieser Karel Van Eetvelt also zum neuen Big Boss beim Rekordlandesmeister. "Ein Kindheitstraum gehe in Erfüllung", sagte der 53-Jährige in der RTBF. Seit seinem sechsten Lebensjahr sei er Fan von Anderlecht, seit dem Spiel gegen Lierse, das er mit seinem Vater gesehen hatte.
Natürlich wisse er um die Herausforderungen. Der RSC Anderlecht steckt in der Misere, sowohl sportlich als auch finanziell. Seine erste Aufgabe wird es sein, den Verein finanziell wieder auf die Beine zu bringen. "Aber, ich mag Herausforderungen", sagte Van Eetvelt in der VRT. Das war bei Unizo so, und auch bei Febelfin. Und jetzt eben Anderlecht. Nur fühle sich das besonders fantastisch an.
Messen wird man ihn am Ende allerdings vor allem an den sportlichen Erfolgen. Die Fans sind mit ihrer Geduld am Ende. Und, wie schreibt es so schön eine Zeitung: Bei allen Fähigkeiten, ein Fußballfan ist noch lange kein Fußballexperte.
Roger Pint