Sie sprangen übermütig in die Grachten. Sie kletterten auf Laternenpfähle und «köpften» Champagnerflaschen. Von Groningen im Norden bis Maastricht im Süden floss «Biertje» in Strömen. Ein ganzes Volk schien in der Nacht zum Mittwoch auf den Beinen zu sein, um mit «Viva, Hollandia!»-Gesängen den ersten Einzug seiner Nationalmannschaft in ein WM-Finale nach 32 Jahren zu feiern. Was mögen die Niederländer wohl erst veranstalten, wenn sie am Sonntag tatsächlich zum ersten Mal Fußball-Weltmeister werden?
Aber was heißt hier «wenn»? Zweifel am Gewinn des vergoldeten FIFA-Pokals in Afrikas Stadt des Goldes scheint höchstens noch Bert van Marwijk zu haben. Doch dass der Bondscoach immer noch vor allzu großer Siegesgewissheit warnt, halten Fans für reine Taktik.
«Wir wissen, dass Bert und unsere Jungs eine Mission haben, die sie um jeden Preis erfüllen wollen», sagt ein TV-Kommentator. «Wir wollen endlich Weltmeister werden!» Auf Hollands größter Fanmeile, dem Museumsplein vor dem weltberühmten Reichsmuseum gleich neben dem nicht minder renommierten Museum für den großen Sonnenblumen-Maler Van Gogh, hören fast 80.000 Menschen die Botschaft - und jubeln.
Mehr als elf Millionen Niederländer schauten nach Schätzungen am Fernseher zu, wie die Superstars Arjen Robben und Wesley Sneijder «Oranje» ins Finale schossen. Rund 70 Prozent der Bevölkerung sahen dabei auch ihren künftigen König, Kronprinz Willem Alexander, in Kapstadt jubeln - neben seiner vor Freude tanzenden Gattin aus Argentinien, Prinzessin Máxima.
«Und jetzt ran ans Gold!», gab am Mittwoch die Boulevardzeitung «De Telegraaf» die Marschrichtung vor. Dass der Wunschgegner für das Endspiel Deutschland hieß, war in den letzten Wochen stets klar. Denn Revanche für das verlorene Finale bei bei der WM in München 1974 war durchaus eines der treibenden Motive für den Kampf der «Oranje»-Elf.
82 Jahre ist es sogar schon her, dass Südamerikaner zum ersten Mal Fußballfreunden in den Niederlanden Ehrfurcht abrangen. 1928 spielte Uruguay im Amsterdamer Stadion der Olympischen Sommerspiele gegen die «Elftal». Reporter lobten die Uruguayer in höchsten Tönen: «Jeder einzelne ist ein Ballkünstler!» Holland verlor 0:2, was als großartiges Ergebnis gegen den Favoriten gefeiert wurde, der schließlich im Endspiel Argentinien besiegte und Olympiasieger wurde.
Das acht Jahrzehnte zurückliegende Erlebnis des olympischen Fußballturniers in Amsterdam sehen nicht wenige als die eigentliche Wiege des großen holländischen Traums, eines Tages ein «Oranje»-Team auf der höchsten Stufe des weltweiten Fußballruhms feiern zu können. Dass auf der vorletzten mit Uruguay der respekteinflößende Gegner von einst geschlagen wurde, wenn auch nicht mühelos, gilt als gutes Omen.
Und noch etwas interpretieren geschichtsbewusste Niederländer - durchaus mit einem Augenzwinkern - als positives Signal: Wurde der Sieg in Kapstadt nicht quasi auf einst «heimischem» Boden errungen? Immerhin war es der Holländer Jan van Riebeeck, der 1651 am «Kaap de Goede Hop» die Flagge der Amsterdamer Handelsgesellschaft VOC hisste und dort die erste europäische Kolonie in Südafrika gründete.
Thomas Burmeister (dpa) - Bild: epa