Am Ende eines umfangreichen Programms mit Besuchen von Universitäten, an denen Föderalismusforschung betrieben wird, von Landtagen, von Kantonsregierungen und Kantonsparlamenten sowie von beispielhaften Initiativen zur Förderung von Bürgerbeteiligung stand eine gemeinsame Erkenntnis über allen anderen: Die Studienreise hat allen Teilnehmern wertvolle Informationen beschert, die in der Zukunft der parlamentarischen Arbeit und für die Weiterentwicklung der DG mit Sicherheit hilfreich sein werden.
Bürgerbeteiligung
Karl-Heinz Lambertz führt den Begriff der DG als Mitmachgemeinschaft schon lange im Munde. Und es gibt gute gelebte Beispiele der Bürgerbeteiligung in der Deutschsprachigen Gemeinschaft - als Leuchtturmprojekt wird da immer, und nicht zu Unrecht, das Regionale Entwicklungskonzept genannt. Doch was die Delegation vor allem im baden-württembergischen Herrenberg und später dann auch im österreichischen Bundesland Vorarlberg erfuhr, geht ein deutliches Stück weiter als das, was bislang in der DG Praxis war.
In Herrenberg etwa sind die Modelle von Bürgerbeteiligung inzwischen soweit gediehen, dass sie Vorbildcharakter in Sachen Partizipation haben: Dort reicht es nicht, dass die Bürger kritisieren, Forderungen stellen, Ideen einbringen, nein, in vielen Fällen sind sie direkt in den Prozess der Umsetzung eingebunden - mit jeder Menge Eigenverantwortung und Engagement. Die Politik bestimmt zwar in letzter Instanz den Kurs, gibt aber einen Großteil ihrer Macht und Befugnisse an das Volk ab.
In Bregenz, Vorarlberg, hat der Landtag ein Büro für Zukunftsfragen eingerichtet, das sich nicht als Zukunftsforschungsinstitut versteht, sondern die Grundfrage stellt, in welcher Zukunft die Menschen leben wollen. Dort werden Bürgerräte veranstaltet, es gibt wertschätzende Befragungen, man will "Gastgeber für gute Gespräche" sein, die Bürger sollen nicht nur Teil des Diskurses, sondern auch der Teil der Umsetzung sein.
Professionelle, von Politik und Bürgerinitiativen unabhängige Moderatoren sorgen dafür, dass integriert und nicht polarisiert wird. Niedermachende Rhetorik hat keinen Platz und wird durch konsensorientierte Gespräche ersetzt.
Föderalismusmodelle
Schwieriger, weil theoretisch und kompliziert in der Natur der Sache: der Arbeitsschwerpunkt Föderalismusmodelle. Zunächst der Besuch des Europäischen Zentrums für Föderalismusforschung der Universität Tübingen. Der international anerkannte Föderalismusexperte Prof. Rudolf Hrbek bezeichnet die Bundesrepublik Deutschland als "Kompromiss" - im Ausgleich zwischen Länderinteressen und Zentralgewaltsanspruch. Und Bundestreue, so der Forscher, bedeute gegenseitige Rücksichtnahme durch Balance.
Der Schweizer Bundesstaat ist hingegen durch einen Aufbau von unten nach oben geprägt. Es gibt den Bund, aber auch 26 Kantone und 2289 Gemeinden. Kantone und Minderheiten haben große Handlungsbefugnisse. Gepflegt wird die Direkte Demokratie mit Volksinitiativen, Referenda und Petitionen. Zwischen der wissenschaftlichen Sicht des Freiburger Instituts für Föderalismus und der Politikersicht driften die Standpunkte auseinander. Bundesstaat Schweiz, sagen die Forscher, oder doch besser Staatenbund, wie viele Kantonspolitiker meinen?
Und schließlich Österreich - ein klassischer Bundesstaat. Hier sind die Länder nur für das zuständig, wofür der Bund nicht zuständig ist. Die Länder bekommen also das, was übrigbleibt. Es wird deutlich: In Österreich gibt es keinen Steuerföderalismus. 70 Prozent der Staatsausgaben sind beim Bund, 30 Prozent teilen sich Bundesländer und Kommunen. Professor Peter Bußjäger vom Institut für Föderalismus in Innsbruck sagt: Der österreichische Föderalismus ist der komplexeste und schwierigte in Europa, deutlich komplizierter als der belgische. Die Grundfragen am Ende: Welche Art von Föderalismus ist die zukunftsträchtigte? Was ist interessant und vielleicht sogar anwendbar auf Belgien und die Deutschsprachige Gemeinschaft?
Jetzt geht es an die Analyse. In vier Tagen Studienreise ist eine Menge an Informationen und Eindrücken zusammengekommen. In Auschuss-, Parlamentssitzungen und Kolloquien sollen die Ergebnisse vorgestellt und weitergedacht, weiterentwickelt werden. Das Rüstzeug dazu ist jedenfalls vorhanden.
Man darf gespannt sein, inwieweit die DG ihrem Anspruch der Mitmachgemeinschaft unter diesen Vorzeichen gerecht werden kann. Zumindest die Delegation mit Karl-Heinz Lambertz an der Spitze, zeitweilig flankiert von Ministerpräsident Oliver Paasch und den belgischen Botschaftern in der Schweiz und Österreich, sollte verinnerlicht haben, dass Bürgerbeteiligung auch mit dem Abgeben von politischer Macht an eben diese Bürger einhergeht.
Rudi Schroeder