Mit ihren Gärtnerutensilien ausgestattet haben sich die Naturfreunde am Samstagmorgen aufgemacht durch die Lütticher Innenstadt. Immer wieder warfen sie unauffällig eine kleine Samenbombe ins Gestrüpp. Die mit Pflanzensamen gefüllten Tonkugeln sollen später Farbe an den Straßenrand bringen. "Das ist nur eine Mischung aus Ton und Komposterde, in die wir Samen füllen und die wir dann trocknen lassen. Die können wir dann auf die Erde werfen, dorthin wo Blumen fehlen und es bunter und grüner werden soll", erklärte Gil aus Lüttich.
Die Idee zu solchen wilden Pflanzaktionen entstand schon in den 1970er Jahren und gehörte zum sogenannten Guerilla-Gardening, einer Form des politischen Protests und zivilen Ungehorsams im öffentlich Raum, die sich mittlerweile zum urbanen Gärtnern weiterentwickelt hat. Gil von der Vereinigung "Urbagora" und seine Workshop-Teilnehmer wollen vor allem dazu anregen, die Innenstadt zu verschönern. Auch wenn es in Lüttich schon erste Ansätze gebe, die Stadt zu begrünen: "Das Zentrum ist ziemlich zubetoniert, sehr grau und trist. Es gibt zaghafte Versuche der Stadt, das zu verbessern. Da gibt es meiner Meinung nach noch einiges zu tun. Denn es gibt jede Menge Studien, die die positive Wirkung von Begrünung in jeder Hinsicht belegen, nicht nur auf Gesundheit und Umwelt, auch was die wirtschaftliche Entwicklung betrifft. Das ist wirkliche eine Notwendigkeit", so Gil aus Lüttich.
Spontan suchten sich die Aktivisten triste Ecken und graue Mauern aus, wo sie mit Moos und anderen Naturmaterialien kleine Kunstwerke erschufen. Pauline war eigens aus Brüssel angereist, um an dem Workshop in Lüttich teilzunehmen. Sie hatte sich in Lüttich eine alte Hausfassade ausgesucht, um ihren Slogan "Aux herbes citoyens" anzubringen: "Diese Schablone haben wir aus einem Röntgenbild gebastelt. Und der Schlamm, mit dem wir sie ausmalen, besteht nur aus Walderde und Wasser. Das heißt, wir beschädigen nichts. Wenn es zweimal darauf geregnet hat, ist alles weg. Und wenn wir Farbe haben wollen, nehmen wir einfach Kreide, die wir zerkleinern und mit Wasser mischen", erklärt Pauline aus Brüssel/
Diskret und nett sind die Spuren, die die Naturfreunde hinterlassen haben. Kleine Kunstwerke aus Moos auf Mauern und Häuserfassaden, Zeichnungen mit Schlammfarbe – bislang hat die Gruppe bei ihren wilden Verschönerungsaktionen noch keine negativen Reaktionen bekommen. "Die erste Frage ist immer: Geht das wieder ab? Wenn wir sagen, das ist nur Kreide oder Schlamm, sind die Leute beruhigt, weil sie sehen, wir machen keine wilden Graffitis. Dann erklären wir den Leuten warum, wir das machen, und sie finden das ganz ok", so Pauline aus Brüssel.
Dort, wo sich in Sachen Begrünung schon etwas tut, machten die Gleichgesinnten aufmerksam - zum Beispiel mit einem Schneckensymbol, das sie daneben anbringen. Ein weiterer Aspekt ist dem Leiter des Workshops noch wichtig: Die Menschen anzuregen, über den öffentlichen Raum und seine Bedeutung nachzudenken. "Der öffentliche Raum wird immer mehr privatisiert, reglementiert. Was können die Bürger noch machen? Durch gesellschaftlichen Druck werden auch viele Dinge, die eigentlich erlaubt wären, nicht mehr gemacht. Auch das, was wir machen, ist wahrscheinlich am Rande der Legalität, obwohl es keine Sachbeschädigung ist. Es gibt viele Leute, die sich das nicht trauen würden. Dabei sind die meisten, denen wir hier begegnen, begeistert und reagieren positiv" so Gil aus Lüttich.
Eine Initiative, die nicht nur in Lüttich Anklang findet. Schon jetzt gibt es bei "Urbagora" Anfragen, ähnliche Workshops an anderen Orten zu organisieren.
Michaela Brück