Jeder zehnte Belgier trinkt zu viel, lautete am Montag die alarmierende Schlagzeile in "Le Soir". Mehr als 80 Prozent der Belgier nehmen regelmäßig alkoholische Getränke zu sich. Und jeder siebte Belgier genehmigt sich täglich sein Gläschen.
Wie schnell aus dem Genuss eine Abhängigkeit werden kann, hat der 63-jährige Bruno aus Eupen erlebt. "Ich war ein Gesellschaftstrinker, das heißt ich habe Gesellschaft gesucht, viel Spaß gehabt - an der Theke, aber auch privat. Die Einschläge haben sich dann aber mit den Jahren und zunehmendem Alter gehäuft. Ich bin jetzt um die 60 und habe bis über 50 gebraucht, ehe ich aufhörte", erklärt der 63-Jährige.
Einer europäischen Studie zufolge suchen sich nur rund acht Prozent der Alkoholabhängigen Hilfe in irgendeiner Form – und das auch erst nach durchschnittlich 18 Jahren Alkoholexzess. Auch bei Bruno hat es lange gedauert, ehe er sich eingestand, dass er ein Alkoholproblem hat. "Mich Alkoholiker genannt habe ich erst, seitdem ich aufgehört habe, Alkohol zu konsumieren. Gemerkt habe ich es schon etliche Jahre vorher, dass es ein Problem gab, habe es mir aber nicht eingestanden".
Zeit ausfüllen - offener Umgang
Hilfe fand er bei seiner Familie, die ihm unterstützend zur Seite stand, und bei den anonymen Alkoholikern. "Ich habe die damals angerufen und Kontakt mit denen gehabt. Und dann bin ich am selben Tag noch in ein Meeting gegangen - und habe seit dem Tag auch nicht mehr getrunken". Zu den anonymen Alkoholikern geht er heute nicht mehr. Der 63-Jährige hat sich andere Beschäftigungen gesucht. Seit zehn Jahren besucht er die Abendschule. "Die Zeit, in der man am Tresen saß, die Zeit, in der man besoffen war, muss man ausfüllen - das ist wichtig."
Wichtig ist auch ein offener Umgang mit der Alkoholabhängigkeit. Einen wirklichen Rat für andere Betroffene hat er aber nicht. Helfen könne man sowieso nicht, jeder müsse sich selber helfen. Ihm selbst hat es damals weiter gebracht, Kollegen und Freunde persönlich über sein Problem aufzuklären. "Vorher war es sehr, sehr schwer, diesen Schritt zu machen, aber im Nachhinein war es das A und O. Und Freunde wissen alle: Er trinkt kein Alkohol, er hat ein Problem damit und ich bin noch nie genötigt worden, zu trinken. Alle haben es respektiert und ich lebe gut - auch wenn es morgen anders sein kann".
Ein Ziel hat der 63-Jährige Eupener sich aber gesetzt: "Ich möchte nüchtern sterben. Und da ich nicht weiß wann, darf ich keinen trinken."
Melanie Ganser