Der deutsche Einmarsch im August 1914 hat in Belgien eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Auch für den Grenzraum, das heutige Ostbelgien, hatte der Kriegsausbruch verheerende Folgen.
Das sorglose Zusammenleben im Vierländereck Belgien-Deutschland-Niederlande und dem neutralen Moresnet wurde am Morgen des 4. August schlagartig zerstört, erklärt der Historiker Herbert Ruland.
"Die Leute sprachen die gleiche Sprache, sie sprachen Platt. Und sie verkehrten miteinander, lebten regelrecht miteinander. Die Grenze war zwar da, spielte aber keine Rolle", so Ruland im BRF-Interview. "Man schmuggelte über die Grenze und man heiratete über die Grenze. Die Menschen hatten überhaupt keine Probleme miteinander. Und das wird durch 1914 'versaut'."
"Die Truppen des deutschen Reiches fielen über das neutrale Belgien her. Sie mordeten, verwüsteten und zerstörten, auch im Grenzgebiet. Das Leid im kleinen Belgien ist groß", sagt Geneviève Warland von der Katholischen Universität Neu-Löwen.
Ostbelgien blickt mit gemischten Gefühlen auf die Zeit zurück, gehörte die Bevölkerung von Eupen-Malmedy-St. Vith doch damals zu den Angreifern. "Zu den Tätern", wie Oliver Paasch, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft, am Mittwochabend in Brüssel betonte.
Jürgen Rüttgers, der ehemalige nordrheinwestfälische Landesvater, bedauerte, dass der Erste Weltkrieg - "die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" - im Bewusstsein der Deutschen keine so vorherrschende Rolle spiele. Neue Publikationen würden sogar die Schuldfrage völlig ausblenden.
100 Jahre und zwei Kriege später haben sich die Beziehungen zwischen Belgien und Deutschland längst wieder normalisiert. Beide Länder sind wichtige Handelspartner und stimmen sich auch sonst im vereinten Europa ab. Eine Sicherheit, dass es nie wieder Krieg gibt, bestehe aber nicht. "Sicherheiten gibt es überhaupt keine", sagt Rüttgers.
In Ostbelgien ist das Zusammenleben über Grenzen hinweg seit Jahrzehnten tatsächlich Alltag. "Allerdings ist nichts mehr so, wie es einmal vor 1914 war", erklärt Herbert Ruland. 100 Jahre danach sind die Folgen des Ersten Weltkriegs in der Grenzregion zwar nicht mehr sichtbar - spürbar aber schon.
Programmtipp
Die Diskussionsrunde in voller Länge strahlt der BRF am 11. November aus, am Tag des Waffenstillstands.
Bild: BRF Fernsehen