Würde man bei einem Quiz fragen: Nennen Sie drei Befugnisse der DG, würden den meisten wohl auf Anhieb die Begriffe Kulturpolitik, Bildungspolitik, und Beschäftigung einfallen, wobei man bei der Beschäftigung zögern dürfte, inwieweit und inwieweit nicht. Andere Kandidaten würden vielleicht spontan die Begriffe Sport und Tourismus nennen, und nach einigem Nachdenken, Sozialpolitik. Letzteres etwas zögerlich, weiß man doch, dass für Sozialpolitik auch Brüssel zuständig ist.
Doch: An Justizpolitik würde wohl keiner der Quizkandidaten denken.
Nun, ein wenig Justizpolitik darf und muss Eupen auch jetzt schon machen, doch das war eigentlich nur ein Thema für die, die in der Jugendhilfe tätig sind. Aber jetzt, sobald die sechste Staatsreform greift, kommt der Jugendschutz hinzu, und das ganze Paket der Justizhäuser. Justizhäuser? War das nicht auch so eine Konsequenz nach den Fragen, die das Dutroux-Drama aufwarf? Ja, richtig.
Aber - im kollektiven Bewusstsein sind die Justizhäuser nicht. Noch nicht. Dabei schließen sie ganz eng an die Sozialpolitik an, und nicht nur, weil sie etwas mit Resozialisierung und Kriminalitätsvorbeugung zu tun haben. Stichwort Kriminalität und Strafverfolgung: Das Kollegium der Generalprokuratoren tritt seit einigen Jahren koordinierend auf, in diesem Bereich: Nach Beginn der 6. Staatsreform wird Eupen dabei mit am Tisch sitzen.
Und noch was: Dann wird die Eupener Regierung die Eupener Staatsanwaltschaft auch auffordern können, Ermittlungen aufzunehmen, wenn sie das für gesellschaftlich wichtig oder nötig hält, wenn gegen Dekrete des PdG verstoßen wird - und das PdG verabschiedet viele Dekrete in immer mehr Bereichen. Auffordern zum Handeln, wohlgemerkt, nicht um Ermittlungen einzustellen, das ist ein Prinzip, das es seit jeher zum Schutz der Gewaltenteilung gibt, in Belgien.
Hoppla: Jugendschutz, Justizhäuser, Strafverfolgung, Kriminalitätspolitik. Sind Sie jetzt erstaunt oder erschrocken? Oder schütteln Sie mit dem Kopf über diesen weiteren Befugniszuwachs? Sollten Sie nicht, und wenn, dann höchstens über eine weitere Zersplitterung, wie man das auch im Sozial- und Wirtschaftsbereich kennt.
Aber dass ein Teil der Justizpolitik zu den Gemeinschaften kommt, sollte nicht schocken - im Gegenteil: Rechtsnormen sind nichts anderes als die Umsetzung kultureller Vorstellungen, oder anders gesagt: Rechtsvorschriften sind genormte Kulturwerte. Und wozu hat man 1971 Belgien in Gemeinschaften aufgeteilt? Richtig! Damit diese ihre Kultur autonom gestalten können. Da ist es doch nur logisch, dass sie auch selbst die Strafen festlegen, und ihre Verbüßung, wenn die eigenen kulturellen Vorstellungen überschritten werden.
In jedem föderalen Land ist die Justiz ganz oder in Teilen bundesstaatlich organisiert, nicht nur in amerikanischen Krimis, aus denen man weiß, dass in Texas andere Sitten als an der Ostküste Amerikas herrschen. Und somit auch andere Sitten in den Gerichtssälen und Gefängnissen. Diese kulturelle Verschiedenheit wurde in Belgien erstmals deutlich, als Flandern neben Erziehungsheimen auch ausgesprochene Jugendknäste wollte, und der frankophone Landesteil weiterhin nur Erziehungsheime. Und heutzutage wird auf manchen flämischen Landstraßen alle paar hundert Meter geblitzt, und seitdem herrscht flämisch-wallonischer Streit über den fetten Reibach, den die "flitspalen" abwerfen.
Es ist also mehr als logisch, dass Rechtspolitik der Kulturautonomie folgt und somit ihren Platz bei den Gemeinschaften hat.
In diesem Zusammenhang wirft das Bestreben der EU, EU-weit gleiche Gesetze anzustreben, etwa gleiche Obergrenzen und allgemein eine gleiche Rechtspolitik, durchaus Fragen auf: Gleiche Rechtsnormen von Skandinavien bis zur Algarve kollidieren frontal mit dem Versprechen der EU, kulturelle Gleichmacherei zu vermeiden, sondern vielmehr kulturelle Eigenheiten der Mitgliedsvölker zu achten.
Besser hätte die EU daran getan, stattdessen EU-weite Sozialstandards zu schaffen. Dann ginge es ihr übrigens jetzt besser, zwei Wochen vor der Wahl.
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