Nach dem hauruckartigen Kauf der Verlagsgruppe "L'Avenir" durch den Energie- und Telekomversorger "Tecteo" rollt ein erster Kopf: Alain Jeunehomme, der als MR-Vertreter für den Ankauf gestimmt hatte, gibt sein Mandat bei Tecteo ab und tritt auch als Kabinettschef der föderalen Mittelstandsministerin Sabine Laruelle zurück. Es war übrigens das erste Mal, dass er im Direktionsausschuss bei Tecteo tagte. Das lässt tief blicken.
In der guten alten Zeit war das anders. Es gab den Gemeindekredit, Interost und die ALG, Vorfreude auf die Jahreshauptversammlungen und auf fette Dividende für die Gemeinden. Die Welt war in Ordnung. Und es hatte ja auch seine Ordnung! Hatten sich doch Gemeinden zusammengeschlossen, aus gemeindeübergreifendem Interesse. Nicht um, wie später, mit Dexia-Anteilen am Zockertisch zu sitzen wie bei der Gemeindeholding, oder als Mischkonzern sowohl auf dem Energie- als auch auf dem Telekommarkt um Anteile zu kämpfen.
Die Strafe folgte, zwar nicht auf dem Fuße, aber dennoch mit Schmerzen: Dexia-Dividenden futsch - Tecteo-Dividenden halbiert. Da sind auch die ostbelgischen Gemeinden betroffen, für sie doppelt ärgerlich, hatten doch Lontzen, Eupen und Kelmis bei der Übernahme des Gasversorgers durch Tecteo den Aufstand geprobt. Dieser muss im Sande verlaufen sein, es hatte lediglich geheißen, man sei zu einer Einigung gelangt, über die man Stillschweigen bewahre. Betroffen ist neben 76 Gemeinden auch die Provinz, die wird es noch am besten verschmerzen können. Soviel zum finanziellen Aspekt.
Dem politischen Aspekt fehlt es nicht an Komik. Seit Jahren steht die Institution Interkommunale - sie ist fast so alt wie das Königsreich - in der Kritik: zu teuer, zu politisch, zu intransparent. Nicht überall, übrigens: In der Provinz Luxemburg ist Idelux stolzer Ausdruck Ardenner Besonderheit. Anderswo im südlichen Landesteil sind sie Verdachtsmomente sozialistischen Machtgefüges. Und nun kommt ein pures PS-Gewächs namens Stéphane Moreau und macht aus dem mächtigen interkommunalen Stromlieferanten ALE mir nichts, dir nichts ein privatrechtliches Unternehmen mit öffentlichen Anteileignern.
Mit dem für ihn angenehmen Nebeneffekt: ein hohes Gehalt und die Bürgermeisterschärpe in Ans, wo er zuvor seinen Ziehvater Michel Daerden entthront hatte. "Tecteo ist doch eine Firma", so der Verkäufer von L'Avenir, der Flame Thomas Leysen, in einem Interview. Er muss es ja wissen, als Boss von Corelio, dem flämischen Pressehaus, das sich für Tecteo als Käufer entschieden hat.
Die MR, die doch so gerne alle Interkommunalen reformiert hätte, geht geschwächt aus der Seifenoper hervor, darin sind sich alle Beobachter einig. Sollten doch die MR-Vertreter in der Tecteo AG gegen den Kauf stimmen - was sie dann aber nicht taten. Was denn nun? Ein 'coup de force' der Lütticher PS? Oder der Durchmarsch des ehrgeizigen Stéphane Moreau? Und hat er das Zeug zum Industriekapitän des digitalen Zeitalters? Oder wird er scheitern?
Wobei inzwischen deutlich wurde, dass der Kauf weniger auf den Machtmenschen Moreau zurückzugehen scheint, sondern auf seinen Finanzdirektor Pol Heyse. Der kommt von RTL-TVI und ist also ein Medienmann. "Die digitalen Medien mit Inhalten versorgen", schrieb er wörtlich in einem RTBF-Chat. Will sagen: statt nur die Leitungen anzubieten, auch Inhalte anbieten, dort wo die Leitungen digital sind.
Konkret: flächendeckende Regionalberichterstattung, wie l'Avenir sie in der Wallonie publiziert, den alleinigen eigenen Kunden vorbehalten, für den TV-Bildschirm, und wohl vor allem fürs Tablet und das Smartphone. Also denjenigen, die bei VOO abonniert sind. Der Konkurrent Belgacom tut dies übrigens mit dem belgischen Fußball. Eine Wette also auf die digitale Medienzukunft. Ob damit die finanzielle Schieflage bei VOO abgewendet werden kann, ist fraglich.