Die Schüsse auf das Asylbewerberheim Bellevue seien nicht rassistisch motiviert gewesen, sagt Andrea Tilgenkamp, Prokurator des Königs in Eupen. Es handele sich um einen Nachbarschaftsstreit. So die Einschätzung der verantwortlichen Staatsanwältin. Diese Bewertung ist, so muss unterstellt werden, auf der Grundlage polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsergebnisse entstanden. Der prominente Schütze, der einzige ostbelgische Olympiamedaillengewinner Edgar-Henri Cüpper, wurde vorübergehend festgenommen, befragt und dann wieder unter Auflagen entlassen.
Im BRF hat er versucht zu erklären, warum er mit seinem "Luftgewehrchen", wie er die Waffe verniedlichend nennt, gezielt auf den Rolladen geschossen hat, hinter dem er den "Störenfried" irakischer Herkunft vermutete. Der Mann lebe sozusagen bei offenem Fenster, telefoniere und skype ständig in großer Lautstärke und habe diesmal nicht auf seine Zurufe und Bitten nach Ruhe reagiert. Deshalb sei ihm, dem Nachbarn, der Kragen geplatzt. Zumal das Ganze eine Vorgeschichte habe: Müll, Kondome und Spritzen, die über den Zaun in seinen Garten geworfen würden und eben diese immer wiederkehrenden lautstarken Belästigungen. Der Stadt, dem Bürgermeister habe er geschrieben, einen Anwalt eingeschaltet, aber nichts sei geschehen. Die Tat an sich bereue er, so Cüpper. Er habe den Mann nicht treffen oder verletzen wollen. Es tue ihm leid.
Fragen kommen auf
Die Ermittlungen werden fortgeführt. Es ist davon auszugehen, dass es zu einem gerichtlichen Verfahren kommt. Unterdessen hat sich der Leiter des Zentrums geäußert. Man wolle den Vorfall nicht hochspielen, auch um die Bewohner von Bellevue nicht allzu sehr zu verunsichern. Soweit und so gut? Nein: Die Tat und der Umgang damit werfen Fragen auf.
Zunächst: Die Staatsanwaltschaft hat erst eine Woche nach der Tat auf Anfrage des BRF zu dem Ereignis Stellung genommen. Der BRF hatte zuvor nach Hinweisen recherchiert und berichtet. In vielen Fällen verhält es sich anders. Oft ist es so, dass die Medien durch Kommune, Polizei und/oder Staatsanwaltschaft relativ schnell informiert werden: bei Einbrüchen, Diebstählen, bei der Suche nach vermissten und oft verwirrten Personen, bei Vandalismus, Verkehrskontrollen oder sogar bei Ordnungswidrigkeiten wie der Vernachlässigung blühenden bürgerlichen Ordnungssinns im Vorgarten des Eigenheims.
Aber jetzt: Schüsse aufs Asylbewerberheim. Eine Woche Schweigen. Warum? Nach dem belgischen Gesetz sind die Behörden hierzulande - im Gegensatz zu Deutschland etwa - nicht verpflichtet, der Presse Auskunft zu geben. Es musste also keine Information von behördlicher Seite erfolgen. Zum anderen: Die Behörden, auch die Institutionen, die für die Ermittlungen zuständig sind, sind an den Auftrag gebunden, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten. Innerhalb dieses gesetzten Rahmens verbietet es sich immer wieder einmal, vermeintliche oder tatsächliche Delikte öffentlich zu machen. Zumal, wenn dadurch der Lauf der Ermittlungen in Gefahr geriete. Alles nachvollziehbar. Und in diesem Fall? Greifen hier diese Kriterien? Zweifel sind angebracht.
Staatsanwaltschaftliche Wertung
Und dann die staatsanwaltschaftliche Wertung: kein Rassismus, sondern Nachbarschaftsstreit. Ist das so klar? Auch hier drängen sich Fragen auf: Hätte der ehemalige Springreiter auch auf den Rolladen geschossen, wenn sich dahinter ein fröhlicher Seniorentanzkreis bei deutscher Schlagermusik vergnügt hätte? Hätte er geschossen, wenn nebenan ein Schützenverein seiner Feierlaune mit Marschmusik gefrönt hätte? Niemand weiß es so genau. Niemand sollte sich zum Richter aufspielen. Aber Fragen müssen erlaubt sein.
Vertrauen wir auf die Ermittlungsbehörden, dass sie mit der gewohnten Distanz und Sachlichkeit alle Fragen klären und es zu einem fairen Verfahren kommt.
Zuallererst geht es aber um den Umgang der Menschen miteinander: auch um den Umgang mit unseren Asylbewerbern hier vor Ort, vor unserer Haustür. Es ist nicht zu übersehen und zu überhören, dass nicht nur an manchen Theken Ostbelgiens fremdenfeindliche Parolen gedroschen werden. Längst werden "die Ausländer" von so manchen für fast alles Negative verantwortlich gemacht: für steigende Heizöl- und Spritpreise, für Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Finanz- und Wirtschaftskrise... Auf diesem geistigen Nährboden gedeihen rechtsextreme Übergriffe. Die Blindheit auf dem rechten Auge kann schlimmste Folgen haben. Gerade gedenkt man in Deutschland - beschämt und betreten - ihrer Opfer.
Wie gehen wir miteinander um? Wer es noch nicht bemerkt hat: Wir sind eine Welt. Und mit Schüssen ist noch nie ein Problem gelöst worden - nicht einmal ein banaler Nachbarschaftsstreit.