Unabhängig soll die Justiz sein, demokratisch, zugänglich, effizient und menschlich. So beschreiben die Akteure selbst "ihr" Justizwesen. So müsse es frei sein von Weisungsbefugnissen und Druck aus Politik, Medien und Wirtschaft. Und dürfe nicht gezwungen sein, die bearbeiteten Akten aufgrund von fehlenden Mitteln zu gewichten.
Einer, der sich bestens auskennt, ist André Henkes. Er war zuletzt Generalprokurator am höchsten Gericht des Landes, am Kassationshof. Während seiner beruflichen Laufbahn hat er alle Facetten des Justizwesens kennengelernt - auch die an sie gestellten Erwartungen und die Rahmenbedingungen.
Dramatische Personalpolitik und kein adäquates Arbeitsumfeld
"Die Magistratur weist seit Jahren auf die dramatische Personalpolitik hin, auch bedingt durch mangelnde Finanzmittel, auf ein Arbeitsumfeld, das in vielen Gerichten absolut nicht dem Standard entspricht", so André Henkes. "Es sind inzwischen einige Justizpaläste geschlossen worden. Das ist nicht, weil die Magistratur die unbedingt schließen will, aber die Situation ist einfach nicht mehr vertretbar."
Nun will André Henkes auch nicht alles schwarz malen. "Wenn ich sehe, was einige Gerichte, nicht unbedingt immer die größten, aber was die leisten, sowohl inhaltlich als auch qua Produktivität - da kann man nur sagen: 'Chapeau, das habt ihr gut gemacht.' Aber wie es nun auch ist, wenn ich in einem Gericht eine gewisse Anzahl Urteile habe, die viel zu lange brauchen und wenn ich zum Beispiel an den Appellationshof Brüssel denke, wo die Fristen, wo die Rückstände über fünf Jahre laufen, das sind unzumutbare Zustände ..."
Keine klaren Aussagen im Programm der neuen Föderalregierung
Das verdecke, was anderswo funktioniere. Nun ist die neue Regierung De Wever und mit ihr die neue Justizministerin Annelies Verlinden seit anderthalb Monaten im Amt. André Henkes hat sich die 50 Seiten im Regierungsprogramm vorgeknöpft, die sich mit der Ausstattung der Justiz befassen.
"Ich sehe im Augenblick bei der Regierung zwar einen sehr schönen Text, aber mir fehlen die klaren Daten. Wie viel ist die Regierung bereit, 2025 bzw. 2026 in die Justiz zu investieren? Die Justizministerin spricht von 250 Millionen Euro. Das hört sich nach viel an, ist aber bei Weitem nicht das, was man wirklich braucht."
Immer höhere Komplexität der Verfahrensnormen
Bei aller Gewaltentrennung sehen Magistrate wie André Henkes auch das nötige Zusammenspiel zwischen Justiz und Politik. "Die Justiz gibt ihr Bestes und ich finde, im Großen und Ganzen klappt es. Wenngleich wir zu viel Zeit brauchen. Mit den Urteilen dauert es zu lange, das wissen wir auch. Wenn man jedes Jahr x Veränderungen in den Verfahrensregeln bekommt, das bringt jedes Mal eine Reihe von neuen Verfahren mit sich. Ich kann nicht erwarten, dass meine Verfahren kürzer werden, wenn meine Verfahrensnormen immer komplexer werden mit immer mehr Einspruchsmöglichkeiten."
Insofern sei die Politik nicht nur in der Rolle des Geldgebers gefordert, sondern im wahrsten Sinne des Wortes als Gesetzgeber.
Stephan Pesch