Es ist ein aufregender und feierlicher Moment für Flavina Matho. Die junge Frau aus Kamerun ist erst seit fünf Jahren in Deutschland und erlebt zum ersten Mal die Aachener Heiligtumsfahrt. Bei der Pilgermesse auf dem Katschhof darf sie eines der vier Heiligtümer tragen: die Windeln Jesu. "Es war wunderbar. Mein Herz klopft noch. Es war für mich eine große Ehre und eine gute Erfahrung."
Die Reliquien waren am letzten Freitag bei einer festlichen Erhebungsfeier im Aachener Dom aus dem goldenen Marienschrein entnommen worden. Nach einem alten Ritus öffnen Gold- und Silberschmiede den kostbaren Schrein alle sieben Jahre. Der Überlieferung nach hat Karl der Große die antiken Stoffreste um 800 als Geschenk aus Jerusalem erhalten. Die Reliquienverehrung hat seit dem Mittelalter Pilger zu Tausenden nach Aachen gezogen. Heute präsentiert sich die Heiligtumsfahrt als eine besondere Form der Glaubenserfahrung, erklärt Bischof Helmut Dieser. "Die Erschließung geht ja nicht mehr in magischem Sinne, sondern wir verstehen das unter den Ausgangsbedingungen unserer Zeit. Alle wollen Erinnerungen, nichts anderes sind diese Reliquien, voller Erinnerungen, Momente aus Christusgeheimnis. Das hat stattgefunden."
Zehn Tage finden rund um die Heiligtümer spirituelle Angebote statt. Unter dem Motto "Entdecke mich" sollen die Menschen persönliche Orientierung finden, aber auch Gemeinschaft erfahren, so der Bischof. "Das ist so dringend nötig, dass wir in den Kirchenkrisen-Phänomenen, wie wir haben, die Polarisierung, die Lagerbildung, Streit, aber auch die Anfechtung durch die Skandale in unseren Reihen, die schreckliche Situation der Missbrauchsopfer, das braucht heilende Erfahrungen, dass dennoch der Glaube gut ist, stärker ist als das, was trennt, was wie Gift wirkt, dass der Glaube heilen kann. So eine Wir-Erfahrung, wir glauben gemeinsam und der, an den wir glauben, ist noch da und vor allem größer als unsere Probleme, diese Erfahrung ist genauso wichtig."
Diese Gemeinschaftserfahrung machen die Menschen vor allem in den täglichen Pilgermessen auf dem Katshchof. Menschen aus vielen Ländern und den internationalen Gemeinden aus Aachen sind dabei. "Wir sind eine französischsprachige Gemeinde in Aachen und feiern jeden Sonntag um 13 Uhr die Messe. Heute war es etwas Besonderes. Das hat viel Spaß gemacht, mit vielen Menschen aus unterschiedlichen Ländern ins Gespräch zu kommen, das war cool", erklärt ein Frankophonen Gemeinde.
Nach den Messen werden die Heiligtümer in den Dom gebracht, wo die Pilger sie nachmittags aus der Nähe sehen können. Die Echtheit der Reliquien ist für viele eine sekundäre Frage und nicht zentral für die Wallfahrt. "Das ist eine Sache, das wird nur der liebe Herrgott wissen am Ende. Aber es geht ja darum, dass man sich auf dem Weg Gedanken macht, dass was im Herzen passiert. Selbst wenn man mir beweisen würde, dass das alles "Nuppes" ist , wäre Wallfahrt nicht überflüssig", so ein Wandergeselle.
Im Dom führt ein Rundgang an den Heiligtümern vorbei. Die Reliquien befinden sich in Vitrinen und wer möchte, kann seine persönlichen Gegenstände dort segnen lassen. Für viele Pilger ist die Aachener Heiligtumsfahrt eine Tradition, für andere eine neue Erfahrung.
"Das geht mir nah, Teil einer Historie zu sein. Das war ein historischer Moment, als wir die Reliquien nach dem Gottesdienst auf dem Katschhof in den Dom gebracht haben. Die Gefühle kann ich nicht in Worte fassen", sagt ein junger Mann aus Schwalmtal.
"Unsere Enkelkinder haben sich das gewünscht. Sie waren geflasht von der Atmosphäre, dem Gesang, den Kerzen, der Pilgerprozession. Das war ein besonderes Erlebnis für uns alle", so eine Oma.
100 000 Pilger werden bis nächsten Montag erwartet, darunter auch Gruppen aus Ostbelgien. Am 19. Juni geht die Heiligtumsfahrt mit der Verschließungsfeier im Dom zu Ende.
Michaela Brück
Mittelalter pur, na ja, wem es gefällt...