2022 sollte alles besser werden, zwei Jahre Corona liegen schon hinter uns. Doch selbst das neue Jahr beginnt ... mit Maske! Wir sind Anfang Januar im Kino Scala in Büllingen. Nach einer weiteren Corona-Zwangspause durfte es für Kinobetreiber Rainer Stoffels kurz vor dem Jahreswechsel wieder losgehen. "Wir gehen davon aus, dass sich die Politik jetzt bewusst geworden ist, dass man nicht einfach so aus dem Bauchgefühl heraus einen Sektor schließen kann, ohne gründlich überlegt zu haben, ob das überhaupt gerechtfertigt ist", sagt Rainer Stoffels.
So gut wie keine Corona-Einschränkungen gibt es nur draußen. Am letzten Wochenende der Weihnachtsferien schneit es auf dem Hohen Venn. In so mancher Eifelgemeinde gibt es bis zu 25 Zentimeter Schnee. Die Freude ist groß.
Spätestens seit Januar dreht sich alles ums Energiesparen. Denn die Preise für Heizöl, Gas und Strom steigen und steigen. Die Verbraucherschutzzentrale wird mit Klagen über hohe Energierechnungen überhäuft. Besserung ist nicht in Sicht, sagt Bernd Lorch von der Verbraucherschutzzentrale. "Zum momentanen Zeitpunkt auf jeden Fall nicht. Im Gegenteil. Die Preise könnten sogar noch weiter steigen."
Wenige Tage vor Karneval wird es dann richtig ungemütlich. Besonders in der Nacht auf Montag, den 21. Februar, hat Sturm Franklin auch Ostbelgien fest im Griff. "Wir sind in allen neun Gemeinden der DG unterwegs gewesen", erklärt René Schoonbrood, Offizier der Hilfeleistungszone DG. "Jetzt über die Tage, seit Donnerstagabend, sind wir mit 129 Alarmierungen, bzw. mit 129 verschiedenen Einsatzadressen beschäftigt gewesen. "
Der Februar 2022 ist aber auch ein Monat zum Heiraten: Bei dem Schnapsdatum 22.2.2022 war an den Standesämtern viel los. In Raeren geben sich Sabine und Ralph das Ja-Wort. "Ich fand das Datum so toll. Meine Frau hatte gestern auch Geburtstag. Dann habe ich es einfacher, es zu behalten. Geburtstag, Hochzeitstag - kann man leicht behalten."
Krieg in der Ukraine
Die Feierlaune wird jedoch vom internationalen Geschehen getrübt. Es ist Altweiberdonnerstag, der 24. Februar. Die Situation in der Ukraine eskaliert, beschreibt Moritz Hoffmann. Er hat St. Vither Wurzeln und lebt seit 25 Jahren in der Ukraine.
Auch Ukrainer in der Region werden von dem Angriff überrascht. Seit 20 Jahren lebt die Ukrainerin Nathalie Nazarova in Ostbelgien. Sie ist in Sorge um ihre Mutter, die bei Odessa lebt. "Sie hat gesagt, dass sie wach war, weil sich ihr Bett bewegt hat. Von diesen Explosionen. Die hat sie auch gehört. Auch alle Nachbarn sind nach draußen. Es ist schon Panik und Angst. Und sie soll schnell anrufen und sagen, dass sie noch lebt." Mittlerweile konnte Nathalie Nazarova ihre Mutter zu sich holen. Doch vielen anderen gelang das nicht.
Trotz allem: Nach zwei Jahren coronabedingter Pause soll der Karneval stattfinden. Zwar sind die traditionellen Umzüge verboten, aber beisammen sein ist erlaubt. Auch wenn die Auw Wiever wieder nicht das Rathaus stürmen dürfen, gibt das Altweiber-Komitee sein Bestes. "Zwei Jahre kein Karneval stellt uns vor Herausforderungen. Wir wollen wie alle Vereine, dass die Tradition am Leben bleibt", sagt Andrée Leffin.
Bei strahlendem Sonnenschein wird am Karnevalssonntag hier und dort spontan gefeiert. So auch in Büllingen. Doch organisierte Umzüge gibt es nicht. Und am Aschermittwoch ist dann wieder alles vorbei.
Jetzt geht es darum, anzupacken. Viele möchten etwas tun, um den Menschen in der Ukraine zu helfen. In Bütgenbach läuft eine erste Spendenaktion mit Hilfsgütern für das Kriegsgebiet an. Mancher macht sich auch spontan Richtung polnisch-ukrainische Grenze auf. Am 7. März kommen mehrere Hundert Menschen zu einer Friedenskundgebung in Eupen zusammen.
Mit dem Frühjahr gibt es Entspannung in Sachen Corona. Ein Konzertierungsausschuss tagt am 4. März. DG-Ministerpräsident Oliver Paasch kann endlich Lockerungen ankündigen. "Heute haben wir beschlossen, praktisch alle Einschränkungen aufzuheben und fast alle Freiheiten zurück zu geben." Auch die Maskenpflicht wird weitgehend aufgehoben. Die Erleichterung ist groß: "Ich finde es einfach toll, auch in den Schulen jetzt. Es ist einfach toll. Man sieht sich wieder und man kriegt wieder Luft."
Anfang März gibt es auch Neues von den beiden Krankenhäusern in der DG. Mit Gaëtan Dumoulin in St. Vith und Martin Root in Eupen bekommt jedes Haus wieder einen eigenen Direktor. Größte Herausforderung: Der Fachkräftemangel.
Mitte März wird die Mobilität zwischen dem Norden und dem Süden Ostbelgiens zum Reizthema: Die Vennstraße wird für mindestens ein Jahr gesperrt. In Phasen sollen die Arbeiten durchgeführt werden. Vor allem Pendler müssen nun lange Umwege in Kauf nehmen und lange Autofahrten sind besonders bei den weiter steigenden Spritpreisen ein Ärgernis.
Ende März wird die Akzisensteuer auf Sprit gesenkt. Tanken wird kurzfristig günstiger. Der Tanktourismus im Grenzgebiet ist zurück. "Ich wohne direkt an der Grenze in Aachen Brand. Da ist das nicht so weit bis hier. Es lohnt sich total, fast 30 Cent Unterschied.
Der Ukraine-Krieg ist längst auch in Ostbelgien angekommen: Krieg als humanitäre Katastrophe, als Energiekrise und als riesige Herausforderung für die gesamte Gesellschaft. Ende März sind 130 ukrainische Flüchtlinge in Ostbelgien registriert. Kurz vor den Osterferien bereitet sich das Zentrum in Worriken auf weitere Schutzsuchende vor. Anfang April ist es dann soweit - die Dankbarkeit der Geflüchteten ist groß.
33.000 ukrainische Flüchtlinge sind im April in ganz Belgien registriert. In Raeren sind es im April rund 40. Doch in allen Gemeinden sind nun erneut Kraftanstrengungen gefragt. Für die Mitarbeiter der Öffentlichen Sozialhilfezentren ist das nach Corona und der Flutkatastrophe eine weitere Herausforderung.
Am 1. April schneit es in St. Vith. Bei den Temperaturen muss geheizt werden, doch das kann sich nicht jeder leisten. Das ÖSHZ St. Vith bietet Hilfe an, um Wohnraum energieeffizient zu sanieren. "Das ÖSHZ möchte diese wachsende Energiearmut nicht tatenlos hinnehmen, sondern mit dem Mini-Energieaudit den Kunden ein Instrument zur Verfügung stellen, das es ihnen ermöglicht, mittel- und langfristig ihren Energieverbrauch und damit auch ihre Energiekosten unter Kontrolle zu haben", erklärt Marco Zinnen, ÖSHZ-Sekretär in St. Vith.
In der Eupener Unterstadt gibt Anfang April etwas zu feiern: Der erste "Aunderstädter Sonntagsmarkt" soll wieder Leben in das von der Flut gebeutelte Viertel bringen. Acht weitere Ausgaben sollen bis zum Jahresende folgen.
In St. Vith kann die Agora endlich ihre Jubiläumsausgabe des Theaterfestes feiern: Die 30. Ausgabe musste coronabedingt immer wieder verschoben werden. Jetzt endlich kann das Fest stattfinden. Der Festivaltitel lautet "Grenzen, Übergänge, Brüche". "Da ist einmal die große Pandemiekrise, jetzt der Krieg in Europa", erklärt Ania Michaelis, die künstlerische Leiterin des Agora-Theaters.
"Das heißt, wir sind permanent damit beschäftigt, die Zeit des Übergangs zu gestalten. Und wie gestaltet man diese Zeit? Wie hält man einen Bruch aus? Ist das ein Zivilisationsbruch, die Pandemie? Und ich glaube, dass wir das Theaterfest so programmiert haben, dass wir versucht haben, Freundschaften zu schließen."
Im Eupener Schlachthof sorgt der flämische Künstler Milow für ausverkauftes Haus. Zwei Jahre gab es keine Auftritte. Jetzt ist die Lust auf Kultur riesengroß. "Ein sehr schönes Konzert, super. Macht viel Spaß, endlich wieder unter Leuten zu sein", heißt es aus dem Publikum. "Man merkt, es macht nicht nur dem Publikum Spaß, sondern auch dem Künstler, wieder auf der Bühne zu stehen."
Am Wochenende vom 1. Mai geht es dann nochmal in Raeren rund: Der im Februar noch verbotene Karnevalszug darf nun stattfinden. Über 2.500 Teilnehmer haben Riesenspaß. "Alles wunderbar, haben wir zu lange vermisst. Endlich ist er nochmal da. Es ist Karneval!"
Auch aus anderen Gemeinden kommen die Jecken nach Raeren, so wie die Diddeldöppcher aus St. Vith mit ihrer Präsidentin Wendy Hermann: "Wir haben uns riesig gefreut und wochenlang vorbereitet. Endlich nochmal Straßenkarneval! Wir sind zum ersten Mal hier und wurden herzlich empfangen."
In Eupen ist das Stadtbild im Wandel. Das Rathausviertel nimmt im Frühjahr Form an. An der Simarstraße sind die Bauarbeiten für neuen Wohnraum fast beendet. Die versprochenen Grünflächen werden vermisst - doch die sollen kommen, versprechen die Stadtverantwortlichen. Umgebaut wird auch der Eupener Bushof. Ein Jahr lang sollen die Arbeiten dauern. Ende Mai werden die Bushaltestellen an die Vervierser Straße verlegt.
Gute Nachrichten gibt es aus der Eupener Unterstadt: Dort kehren immer mehr Familien nach der Hochwasserkatastrophe wieder in ihre Häuser zurück. "Viele Freunde haben uns gefragt, ob wir wieder zurückkommen. Das war für uns klar, dass wir wieder zurückkommen. Das ist unser Zuhause. Wir wollen einfach wieder zurück", erklärt Claudia Dahlen aus dem Ortsteil Hütte.
Am letzten Sonntag im Mai sorgt ein Großeinsatz der Polizei in der Eupener Unterstadt mehrere Stunden lang für Aufregung. Nach einer Verfolgungsjagd werden zwei Flüchtige festgenommen. Sie sollen an einer Serie von Geldautomatensprengungen in der deutschen Eifel beteiligt gewesen sein. Sprengstoff, der im Auto der Verdächtigen versteckt war, wird auf einer Wiese oberhalb der Monschauer Straße kontrolliert gesprengt.
Investitionsprogramm
Schulen fit für die Zukunft machen. Dafür nimmt die DG 250 Millionen Euro in die Hand. Bis 2030 soll das Geld in zehn neue Lernorte investiert werden. Heißt konkret: Es werden neue Schulgebäude gebaut, bestehende werden saniert und modernisiert. "Aus meiner Schulzeit kenne ich Flurschulen. Das sind Schulen mit Klassenräumen, mit einem doch recht breiten Flur", erinnert sich DG-Bildungsministerin Lydia Klinkenberg.
"Von diesen Konzepten möchten wir abweichen und in Zukunft in Richtung moderne, offene Räume gehen, in denen dann auch Projekte gemacht werden können. Also wirklich eine neue Form der Pädagogik der Zukunft, um eben auch flexibel auf neue pädagogische Methoden reagieren zu können."
Trotz der Krisen, trotz ungewisser Prognosen: Die DG entscheidet sich für Investitionen. "Wir haben 720 Millionen Euro Investitionsprogramm aufgelegt für die kommenden zehn Jahre. Dazu gehört dieses Schulbauprogramm", sagt Ministerpräsident Oliver Paasch.
"Und wir haben vor allem nachgewiesen, dass wir uns dieses Programm leisten können. Wir werden 2025 wieder einen ausgeglichenen laufenden Haushalt hinterlegen und am Ende der nächsten Legislaturperiode auch einen gesamten Haushalt ins Gleichgewicht bringen."
Die rote Karte zeigen die Gewerkschaften der Regierung schon Ende Mai. "Saldo ungenügend", so das Motto der Gewerkschaften beim Generalstreik im öffentlichen Dienst. Man brauche mehr Personal, mehr Wertschätzung und mehr Kaufkraft. Die Aktion sollte nur ein Vorgeschmack auf die nächsten Monate sein.
Im Juni wird der Eupener Chefkoch Gary Kirchens mit seinem ersten Michelin-Stern ausgezeichnet. Unter schwierigen Coronabedingungen war er mit dem "Aurum by Gary Kirchens" in Sint-Truiden gestartet. Doch nun konnte Gary Kirchens die Michelin-Jury überzeugen. "Letztes Jahr hatten wir nur dreieinhalb Monate geöffnet, also dachte ich nicht, dass wir eine Chance haben. Dieses Jahr schätzte ich die Chance auf fünfzig-fünfzig. Deswegen war es umso schöner."
Über eine Art Ritterschlag darf sich im Juni auch die langjährige Föderalabgeordnete Kattrin Jadin freuen: Überraschend schlägt die MR die damals 41-Jährige als Kandidatin für den Posten als Richterin am Verfassungsgericht vor. "Ich freue mich wirklich sehr über den Vorschlag meines Präsidenten zur Bezeichnung. Ich habe ihm vor einer Woche meine Disponibilität für dieses Amt bekundet."
Im September wird Kattrin Jadin dann als das jüngste Mitglied am Verfassungsgericht und als erste deutschsprachige Richterin in dieser Position vereidigt. Die DG verliert allerdings ihre einzige deutschsprachige Föderalabgeordnete.
Doch zuerst kommt der Sommer: Die erste Hitzewelle des Jahres rollt bereits Mitte Juni ins Land. Die Badesaison wird frühzeitig eröffnet. In Robertville wurde die Anlage großflächig erneuert.
In Worriken ist der Venntastic Beach mit 1.000 Besuchern ausgelastet. Die Bademeister haben alle Hände voll zu tun. "Wir sind mindestens immer drei und haben noch Leute auf Seite, um uns zu helfen. Es ist aber noch ruhig. Die Leute sind sehr diszipliniert", erklärt Jean-Louis Elias.
Und trotzdem: Ende Juli kommt es zu einem tödlichen Badeunfall am See. Der Mann aus Ostflandern konnte zwar aus dem Wasser gezogen werden. Jede Hilfe kam jedoch zu spät.
Angespannt ist die Situation im Krankenhaus St. Josef in St. Vith: Der Personalmangel ist groß. Der neue Direktor Gaëtan Dumoulin zieht die Reißleine und reduziert die Aufnahmekapazität. "Wir müssen hier 20 Pflegekräfte einstellen. Wir haben Maßnahmen getroffen, um attraktiver zu werden. Durch eine Flexibilitätsprämie, Essensgutscheine und so weiter. Wir bieten ein gutes Arbeitsumfeld für unsere Mitarbeiter." Neue Mitarbeiter braucht die Pflege - weitere Lösungen muss auch die Politik bringen, so die Hoffnung des Klinik-Direktors.
In Kelmis beginnen im Juni die Arbeiten am Kirchplatz. In zehn Monaten soll hier ein neuer Lebensraum entstehen. 1,5 Millionen Euro sind dafür vorgesehen. Ob es reichen wird? Die Kosten der Baumaterialien steigen und steigen, die finanzielle Situation der Gemeinde ist angespannt. Doch trotzdem: Im nächsten Jahr soll es hier ein großes Fest geben.
Es ist Juli in der Eupener Unterstadt. Fast ein Jahr nach dem verheerenden Hochwasser ist der Weser-Pavillon im Temsepark wieder geöffnet. Ein Anbau ist hinzugekommen. "Es ist für viele Leute hier ein sozialer Treffpunkt geworden. Wir haben sehr viele Familien, die hier hinkommen, viele Senioren. Deswegen war es uns sehr wichtig, dass das hier schnell realisiert wurde", sagt Susanne Visé von der VoG "Unterstadt - ein starkes Viertel".
Schritt für Schritt zurück zur Normalität. Doch der Schrecken von vor einem Jahr sitzt noch immer tief. Am 14. Juli, ein Jahr nach dem verheerenden Hochwasser, kommen Menschen auf dem Scheiblerplatz zu einer Mahnwache zusammen. "Ich glaube, es gibt sehr viele Menschen, die diese Sache noch nicht verarbeitet haben. Und auch die Helfer nicht", sagt Michael Emmermann, der noch immer als ehrenamtlicher Helfer im Einsatz ist. "So ist vielleicht eine Möglichkeit, zusammenzukommen. Voriges Jahr waren wir alle in einem Film. Wir haben versucht, zu funktionieren."
Der Wiederaufbau geht weiter. In der Haasstraße soll die Bäckerei Fonk wieder öffnen. Die Arbeiten sind im vollen Gange. Doch die Bilder des Jahrhunderthochwassers bleiben lebendig. Auch bei Bäcker Mario Fonk: "Ich war nachmittags gegen 16 Uhr hier. Das war eine regelrechte Nachkriegssituation. Hier liefen Leute durch die Straßen. Mit ihren Bollerwagen, mit ihrem letzten Hab und Gut drauf. Die Kinder an der Hand, die am weinen waren. Es war fürchterlich. Es lief einem eiskalt den Rücken runter."
Im Kabelwerk gibt es im Juli für die 850 Beschäftigten fast wieder Vollbeschäftigung. Das hatte vor einem Jahr niemand gedacht, sagt Generalsekretär Hermann-Josef Bernrath. "Rückblickend sind wir zufrieden mit dem, was wir geschafft haben. Man hätte immer mehr schaffen können, aber ich glaube, wir sind gut unterwegs, verglichen mit anderen Bereichen. Der Markt ist da. Wir sind zufrieden und zuversichtlich."
Doch nicht überall konnte es so gut weitergehen. Viele Häuser sind weiter unsaniert und stehen leer. Und so manches Gewerbe bleibt wohl für immer geschlossen.
Heißer Sommer
Statt zu viel Regen wie im letzten Juli, gibt es diesen Sommer zu wenig Nass. Hitze und Trockenheit machen Natur und Menschen zu schaffen. "Auf mindestens 30 bis 50 Zentimeter Tiefe ist der Boden komplett ausgetrocknet", erklärt Meteorologe Karsten Brand, der eine Wetterstation am Weißen Stein betreibt. "Das ist ein Problem für die Fichten, die Flachwurzler sind und nicht ans Grundwasser kommen. Die kommen mit dem Hitzestress nicht klar und können eingehen. Ich befürchte da große Schäden. Das ist die Sorge: Wassermangel."
"Komm wie du bist", so das Motto Ende Juli in St. Vith. Zum ersten Mal findet ein Christopher Street Day in Ostbelgien statt. Eine Demonstration gegen die Ausgrenzung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität. 150 Feiernde sind dem Aufruf gefolgt. Veranstalter Philippe Thomas ist überwältigt. "Es war wunderschön. Es haben so viele Leute zugeschaut. Und dann sind auch so viele mitgelaufen, auch aus unserer Gegend. Mein Herz ging da auf." Im nächsten Jahr soll es den Christopher Street Day in St. Vith wieder geben.
Eine Wiese in Medendorf bei Manderfeld wird zur schönsten Wiese der Wallonie ausgezeichnet. Bewirtschaftet wird die Wiese von den Schwestern Theissen aus Manderfeld. Simone Theissen freut sich über die Auszeichnung. "Eines der Auswahlkriterien ist auch, dass man einen niedrigen Viehbesatz hat, dass man nicht zu intensiv arbeitet und dass man eine hohe Futterautonomie hat. Also dass man seine Tiere ernährt mit Futter, das auf dem eigenen Betrieb gewachsen ist."
Doch auf den meisten Wiesen wächst im August nicht viel. Die anhaltende Trockenheit stellt die Landwirtschaft vor große Herausforderungen. "Nichts ist nichts, sagen wir immer. Und es wächst auch im Moment nichts. Wir haben hier um den Stall herum noch 40 Hektar, wo sie drauf gehen können. Aber es hat jetzt lange nicht mehr geregnet und da ist nichts mehr."
Bei so viel Hitze sind alle auf der Suche nach Abkühlung. Doch der Müll, den viele Badegäste einfach liegen lassen, wird am Bütgenbacher See mehr und mehr zum Problem.
"Also ich würde sagen, das sind jetzt acht bis zehn Tüten. Das ist täglich so. Im Sommer ist das leider 'normal'. Es wäre schön, wenn die Leute ihre Sachen mitnehmen würden. Sie sind ja viel leichter, wenn sie zurück gehen", sagt Mario Wattler vom Bauhof Bütgenbach.
Schulstart
Zurück ins Klassenzimmer geht es traditionell am 1. September. Die wallonischen Kinder starten dieses Jahr erstmals schon wieder im August. Doch in der DG soll der Schulkalender beim Alten bleiben.
Alles neu macht an vielen Schulen der DG die frisch eingeführte Software Skolengo. Die Pater-Damian-Schule in Eupen ist Pilotschule. Auch wenn es anfangs holprig läuft, ist Direktorin Marie Kever zuversichtlich. "Ich denke, dass alles vernetzt ist, ist schon ein Mehrwert. Skolengo bietet ein Rundumprogramm. Wir haben Schülerverwaltung und Schul- und Lernplattform sowie Klassentagebuch und so weiter."
Glasfaser
Damit alle gut vernetzt sind, sollen im Laufe des Schuljahres alle Schüler einen eigenen Laptop von der Deutschsprachigen Gemeinschaft bekommen. Die Umstellung auf die digitale Schule ist eine Herausforderung, nicht nur für die IT-Verantwortlichen. Doch ohne eine schnelle Internetverbindung läuft nicht viel.
Das Ziel der DG-Regierung: Bis 2026 sollen alle 40.000 Haushalte in der Deutschsprachigen Gemeinschaft einen Glasfaseranschluss bekommen. Damit das gelingt, wird gleich ein neues Unternehmen gegründet: "Glasfaser Ostbelgien" soll schnelles Internet in jedes Dorf bringen. "Ab Januar nächsten Jahres geht es dann sehr konkret los. Die ersten Arbeiten starten in Kelmis und in Amel", kündigt DG-Ministerin Isabelle Weykmans an.
Kunst und Kultur
Mitte September bekommt die Künstlerszene in Ostbelgien einen neuen Treffpunkt. Der Kuckuck in St. Vith wird wiedereröffnet. Die ehemalige Kneipe hat an Anziehungskraft nichts verloren. "Ich habe immer geträumt von so einem Ort, an dem Menschen zusammenkommen. Zusammen tätig werden, zusammen quatschen. Zusammen essen. Gute Momente erleben. Und da habe ich einfach mal losgelegt", sagt der Künstler Didier Scheuren, der den neuen Kuckuck betreibt.
Gut im Takt zu sein ist eine Kunst für sich. Unterrichtet werden diese und andere Künste schon seit 50 Jahren an der Musikakademie der DG. Zum runden Geburtstag gibt es ein Jubiläumsprogramm. Ein ganzes Jahr lang soll gefeiert werden.
Nicht mehr wegzudenken ist auch das Medienzentrum der DG: Seit 30 Jahren ist es Anlaufstelle für alle, die sich für Bücher und Medien interessieren. Die Herausforderungen der Zukunft sind groß. "Ein großer Teil unserer Arbeit in Zukunft wird sein, die Bürger bei der Digitalisierung zu begleiten. Das fängt mit einem kleinen Kind an, das bei uns seine erste Leseförderung erlebt. Aber auch Senioren bekommen Hilfe, die verstehen wollen, wie WhatsApp funktioniert", erklärt Eliane Richter, die Leiterin des Medienzentrums.
Die Kultur ist im Aufwind. Das Stück "Matki" von der Compagnie Irene K. wird endlich aufgeführt. Vor zwei Jahren konnte die Premiere coronabedingt nur online stattfinden. "Matki" bedeutet auf Polnisch "Mütter". Und um das Muttersein dreht sich auch das Solo-Tanzstück. Eine Inszenierung mit Tiefgang.
Was im letzten Jahr noch fast unmöglich schien, rückt im Herbst in greifbare Nähe. Die Entbindungsstation am Eupener St. Nikolaus-Hospital soll wieder geöffnet werden. Bis es soweit ist, wird die Station renoviert. Mitte des nächsten Jahres soll es dann wieder die ersten Geburten in Eupen geben.
Im Oktober sind die Energiekrise und die vielen Preiserhöhungen immer mehr spürbar. Das wirkt sich selbst bis auf die Tierheime aus. Immer mehr Tiere werden abgegeben. Es gibt sogar Wartelisten für Neuaufnahmen. "Die Futterkosten steigen. Die Tierarztkosten steigen. Medikamente werden teurer für die Tiere. Und natürlich auch durch die eigenen Lebenshaltungskosten können die Leute sich die Tiere nicht mehr leisten", erklärt Daniela Klein vom Tierheim in Schoppen.
Geld ist überall knapp. Die Deutschsprachige Gemeinschaft rechnet im kommenden Jahr mit einem Defizit von 80 Millionen Euro. Mitte Oktober erklärt DG-Ministerpräsident Oliver Paasch im Parlament die Situation: "Die finanzpolitische Lage hat sich in den letzten sechs Monaten weiter verschärft. Und ich gebe zu: Selten war die Vorbereitung eines Haushaltes so schwierig, so aufwändig und so komplex, wie ich es dieses Jahr empfunden habe."
Trotzdem möchte die DG weiter investieren. Der Ausbau der Infrastruktur soll Priorität haben. Und 2025 soll der Haushalt dann wieder ausgeglichen sein. Doch eine Glaskugel hat niemand. Wie entwickeln sich die Energiepreise? Kann sich die Inflation erholen? Und vor allem: Wie geht es in der Ukraine weiter?
Das Problem der Flüchtlingsunterkünfte wird im Oktober immer akuter. Die Föderalregierung klopft in Büllingen an: Das leerstehende "Hotel International" soll 40 Flüchtlinge aus verschiedenen Krisengebieten aufnehmen. Bürgermeister Friedhelm Wirtz reagiert gefasst. "Ich habe natürlich auch darauf hingewiesen, dass wir in Manderfeld 231 Schutzsuchende haben. Wir haben schon ein großes Zentrum. Das wäre dann das Zweite." Doch das Projekt verzögert sich. Im Frühjahr erst sollen die ersten Asylsuchenden einziehen.
Für eine grüne, friedliche und gerechte Zukunft kämpfen. Das möchte die Bewegung "Fridays for Future". Am letzten Freitag vor den Allerheiligenferien zieht zum ersten Mal eine FFF-Demo durch Eupen. Die junge Aktivistin Clara Falkenberg hat zu der Demonstration aufgerufen. "Die Politik schwänzt auch, nämlich zu handeln und auf die Wissenschaft zu hören. Es ist nicht Schule schwänzen, es ist seine Zeit opfern, um auf die Straße zu gehen und zu zeigen, dass man Veränderung möchte. Ich lade jeden ein, mutig zu sein und zu streiken."
Anfang November ist das Maß für die Gewerkschaften voll. Der landesweite Generalstreik wird auch in Ostbelgien befolgt. "Runter mit den Energiekosten, rauf mit den Löhnen. Wir sind in einer Energiekrise seit einem Jahr, die nicht aufhört, sich zu verschlimmern", sagt Marc Niessen von der CSC-Gewerkschaft.
"Hier müssen klare Maßnahmen her, wie Energiepreisdeckel und Besteuerung von Übergewinnen in allen Unternehmen, in denen es gut läuft. Und die Unternehmen gibt es. Da braucht es eine Gewinnteilhabe, damit die Menschen die steigenden Kosten bezahlen können."
Wer kann, wird selbst aktiv gegen die hohen Energiepreise und saniert sein Haus. Dafür gibt es Prämien. Seit einem Jahr können diese direkt bei der DG eingereicht werden. Rund 800 Anträge sind seitdem eingegangen. Das ist zehn Mal mehr als vor der Übertragung der Zuständigkeit an die DG.
Die Geschichte der Eupener Tuchindustrie und die Lebensumstände der Arbeiter zu Beginn es 19. Jahrhunderts sind Thema der dritten Musical-Produktion von Eastbelgica. 100 Mitwirkende sind bei den Vorführungen von "Kyrie" im November dabei. "Wenn man sich ganz genau mit dieser Zeit befasst, sieht man, dass die Lebensumstände, die sozialen Umstände der Arbeiter, die ja der größte Teil der Bevölkerung waren, sehr, sehr schlecht waren. Kinderarbeit, die Kinder gingen nicht zur Schule. Die Arbeiter hatten fast keine Rechte und diesen Aspekt möchten wir beleuchten", erklärt Produzent Simen Van Meensel.
Im Herbst kann sich der KFZ-Mechatroniker John Wiesemes aus Recht bei der Weltmeisterschaft der Handwerksberufe durchsetzen. Der 21-Jährige erringt die Exzellenz-Medaille. Damit wird er zudem der beste belgische Teilnehmer der Worldskills.
Ein Polizistenmord in Schaerbeek erschüttert im November das ganze Land. Tausende Kollegen nehmen Abschied von Thomas Montjoie. In Eupen versammeln sich rund 80 Polizeikräfte.
"Ich denke, die Gesellschaft ist ständig im Wandel und wir müssen uns auch darauf einstellen. Mit einem Großteil der Bevölkerung läuft es gut. Das sind gute Menschen. Aber wir beschützen ja die Bevölkerung und wir hätten dann auch gerne, dass die Basis gelegt ist, dass wir auch beschützt werden", findet Eric Hellebrandt, Delegierter der Polizeigewerkschaft.
Majestätisch sind die beiden Tannenbäume, die dieses Jahr von Ostbelgien nach Brüssel gereist sind. Die 18 Meter hohe Nordmanntanne, die auf der Grand-Place in Brüssel steht, stammt aus Raeren - aus dem Garten von Ann Sarlette. "Ich finde, der passt hier super hin. Man merkt so an den Proportionen, dass er hier besser hingehört als in unseren Garten, wo er einfach riesengroß wirkte. Deshalb ist es jetzt ein cooles Gefühl, ihn jetzt hier stehen zu sehen."
Und auch aus Küchelscheid hat eine prächtige Tanne den Weg nach Brüssel gefunden. Der 22-Meter-Baum wird Anfang Dezember vor dem Königspalast aufgestellt.
Es sind mit die vielen Lichter, die die Vorweihnachtszeit mit so besonders machen. Doch die Gemeinden müssen Energie sparen. Viele reduzieren die typischen Weihnachtsbeleuchtungen. Für die St. Vither Geschäftsleute geht das gar nicht. Und so sorgen doch einige wenige Lichterketten in der Büchelstadt für Feststimmung.
Wird das Hohe Venn zum Nationalpark? Die Bewerbung schien vielversprechend zu sein - und doch kam dann Anfang Dezember die Ernüchterung: Nein, das Rennen um den Titel Nationalpark konnte das Hohe Venn nicht für sich entscheiden.
Die Gewinner sind die Regionen Entre-Sambre-et-Meuse und das Tal der Semois. Die Regionalabgeordnete Anne Kelleter reagiert enttäuscht. "Eine Entscheidung für das Hohe Venn wäre ein großer Fortschritt gewesen. Die Touristenströme hätten besser gelenkt werden können. Es ist auch das, was das Venn momentan am meisten braucht."
Am dritten Adventswochenende wird es in Eupen richtig weihnachtlich. Bei frostigen Temperaturen feiert der Weihnachtsmarkt sein 50. Jubiläum. Mit zahlreichen Ausstellern, bunten Animationen und viel Musik. Ein Erfolg für die Stadt.
"Ich bin überrascht und vollkommen überwältigt, dass so viele Menschen nach Eupen gekommen sind", sagt Marion Decker vom Tourist Info Eupen. "Hier sind sowohl zahlreiche Touristen als auch Einheimische. Gestern kam sogar eine große Gruppe Italiener aus Brüssel nach Eupen!"
Trotz Krisen, trotz Sorgen, trotz der Ungewissheit. Die Menschen nehmen an, was es an Schönem geboten gibt - das Jahr soll festlich ausklingen. Da kommt Mitte Dezember eine gute Nachricht aus der Unterstadt gerade recht: Das Hotel Bosten soll im Frühjahr schrittweise wieder geöffnet werden. Dabei wurde das Hotel von keiner Krise der letzten Jahre verschont: Nach Corona kam die Flut und jetzt sind es die Preissteigerungen, die für Kopfzerbrechen sorgen.
Der ehemalige Besitzer des Hotels, Hubert Bosten, unterstützt das Projekt. "Wir wissen, dass der Wiederaufbau eine große Anstrengung für die neuen Eigentümer ist. Es ist bemerkenswert, dass die Besitzer den Mut haben, jetzt wieder neu zu starten." Und auch der Saalbetrieb soll im kommenden Jahr wieder anlaufen.
So wie überhaupt alles 2023 wieder neu anlaufen kann: Am besten ohne Krisen, dafür mit viel Elan für ein gutes neues Jahr 2023!
Simonne Doepgen