Es beginnt hoffungsvoll: Das reiche Land Katar bietet arbeitssuchenden Frauen aus den Philippinen Arbeit als Haushaltshilfe oder Kindermädchen. Sie unterzeichnen einen Vertrag und ziehen in das Emirat. So auch Jeannie. Laut Vertrag soll sie sich um ein Baby kümmern. Acht Stunden Arbeitszeit pro Tag. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus, weiß Jörg Nowak von Missio Aachen.
Nowak hat Jeannie getroffen und erfahren, wie sie ausgebeutet wurde. "Weil sie sich nicht um ein Kind kümmern muss, sondern plötzlich um sechs, und die größeren Kinder gaben ihr Kommandos und Befehle, was sie alles zu tun hatte. Diese Frau erzählte mir, dass sie 15 Stunden gearbeitet hat, sieben Tage pro Woche." Und das bei einem Stundenlohn von umgerechnet einem Euro.
Wie Sklavinnen müssen die Frauen Pass und Handy abgeben. In Privathaushalten sind sie zudem schutzlos der Gefahr sexueller Übergriffe ausgesetzt. So erging es auch Jeannie. Als der Hausherr sie sexuell belästigte, floh sie.
Kein Einzelfall. Jörg Nowak hat sowohl in Katar als auch in den Philippinen Frauen getroffen, die von solchen Erfahrungen berichten. "Wenn sie versuchen, aus dem Land zu fliehen, müssen sie bei der Arbeitsagentur unterschreiben, warum sie kündigen und sich verpflichten, dass sie mit niemandem darüber sprechen und auch nicht vor Gericht ziehen."
Wagen die Opfer es doch, zur Polizei zu gehen, setzen sie sich wieder einer Gefahr aus. "Wenn Frauen die Vergewaltigung bei der Polizei anzeigen, gehen sie das Risiko ein, dass sie selbst vor Gericht kommen, weil Polizei und Gericht in Katar das so interpretieren, dass die Frau gestanden hat, dass sie vorehelichen Geschlechtsverkehr hatte, und deswegen werden sie angeklagt und möglicherweise zu einer Peitschenstrafe oder Gefängnis verurteilt."
So gab es den Fall einer Mexikanerin, die für das WM-Organisationskomitee in Katar arbeitete und dort einen Mann wegen Vergewaltigung anzeigte. Plötzlich stand sie selbst vor Gericht und sollte zu 100 Peitschenhieben verurteilt werden. Ihr Anwalt empfahl ihr, den Peiniger zu heiraten, um der Auspeitschung zu entgehen. Dank internationaler Proteste konnte sie in ihre Heimat zurückkehren.
Eine absurde und grausame Rechtssprechung, der viele der rund 173.000 ausländischen Haushaltshilfen in Katar zum Opfer fallen. Die Dunkelziffer sei hoch, so Nowak. Missio versucht, den traumatisierten Frauen zu helfen. Seit 2016 läuft ein Projekt. "Wir haben philippinische Projektpartner dabei unterstützt, telefonische Hotlines aufzubauen, damit diese Frauen Kontakt aufnehmen können, um wieder zurück in ihre Heimat kommen zu können. Wir haben 500 Frauen geholfen mit Unterstützung der Projektpartner in den Philippinen."
Missio und andere Hilfsorganisationen befürchten, dass bis zu 90 Prozent der Arbeitsmigrantinnen in Katar auch sexuelle Gewalt erleiden. Mit einer Petition für einen besseren Schutz von Frauen in Katar will das Aachener Hilfswerk jetzt Druck machen.
Im November sollen die gesammelten Unterschriften an die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock übergeben werden mit dem Appell, sich beim Emir von Katar dafür einzusetzen, dass die frauenfeindliche Rechtsprechung beendet wird.
Weitere Infos auf der Webseite von Missio.
Michaela Brück