Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat Familie Karimi schockiert. 2016 sind sie vor den Terroristen aus ihrem Heimatland geflüchtet. Wenn sie heute im Fernsehen die Nachrichtenbilder sehen, kommen schreckliche Erinnerungen wieder hoch.
Der 19-jährige Murtaza hat es damals als einziger aus Afghanistan heraus geschafft. Seine Eltern und seine vier Geschwister hat er auf der Flucht durch die Berge an der Grenze zur Türkei aus den Augen verloren. Drei Tage hat er auf der anderen Seite auf sie gewartet - vergeblich. Erst dreieinhalb Jahre später sollte er sie wiedersehen.
Der damals 14-Jährige setzte seine Flucht alleine fort. Zu Fuß. Mehrmals wurde er verhaftet, kam in ein Lager, wurde geschlagen. Schließlich schlug er sich über Griechenland und die Balkanroute durch nach Belgien - genauer nach Antwerpen, wo ein Verwandter lebt.
Auf der Flucht hat Murtazas Vater viel über die Taliban erzählt. Deshalb fällt es dem Sohn schwer, den Versprechungen der neuen Machthaber zu glauben. Was in den nächsten Tagen passieren wird, kann Vater Ewaz nicht sagen. Aber er ist sicher, dass man den Taliban die versöhnlichen Töne von Amnestie und Frauenrechten nicht abkaufen kann. Hoffnungen auf Frieden hat er nicht.
Der 56-Jährige hat an einer Schule in Kundus die Schüler der Oberstufe unterrichtet. Bis er von den Taliban verfolgt wurde und sich verstecken musste. Mit seiner Frau und den fünf anderen Kindern gelang schließlich die Flucht in den Iran, wo die Familie blieb, bis sie im September 2019 mit Murtaza zusammengeführt wurde, der inzwischen in Eupen lebte.
Die Fernsehbilder von der Machtübernahme der Taliban wecken auch Sorge um die, die in Afghanistan zurückgeblieben sind. Ewaz Karimi hat Angst, dass ein vollständiger Sieg der Taliban schwer zu verhindern sein wird. Dass sich die afghanische Regierung und die Armee kampflos ergeben haben, macht ihn zugleich traurig und wütend.
Judith Peters