Als wir uns zum Interview in St. Vith treffen, wo Annemie Schaus am Wochenende ihre Eltern besucht, legt sie Wert darauf, die Fragen auf Deutsch zu beantworten. Schließlich sei das ihre Muttersprache und auch wenn sie in Charleroi aufgewachsen ist, war sie als Kind doch häufig in St. Vith, ihrer zweiten Heimat, wie sie sagt.
Und mit Deutsch kommt sie auch wunderbar in Berlin parat, dem Sitz der Menschenrechtsorganisation "European Center for Constitutional and Human Rights" (also: Europäisches Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte). Annemie Schaus ist Mitglied des Beirates und kam so mit dem namhaften amerikanischen Anwalt und Bürgeraktivisten Michael Ratner in Kontakt. "Er war zu dem Zeitpunkt der leitende Anwalt von Julian Assange und hat mich gefragt, ob ich im Team mit anderen Anwälten arbeiten will, als Spezialistin für europäische Menschenrechte", erzählt sie.
Ende Februar muss sich Assange in London einem Verfahren über den von den USA gestellten Auslieferungsantrag stellen. Die von ihm gegründete Enthüllungsplattform Wikileaks hatte geheime Videos und Dokumente veröffentlicht, wie die über US-Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan, die ihr 2010 von der Militärgeheimdienstanalystin Chelsea Manning (damals noch Bradley Manning) zur Verfügung gestellt wurden.
In der Anklageerhebung vom vergangenen Frühjahr wirft die US-Justiz Assange Verschwörung mit Chelsea Manning für einen Hackerangriff auf Pentagon-Computer vor. Dafür gibt es laut Annemie Schaus aber keine Beweise.
"USA wollen ein Exempel statuieren"
Im Herbst wurde die Anklage um 17 Punkte erweitert. Unter anderem müsste sich Assange in den USA wegen Spionage und Geheimnisverrates verantworten. Im Falle eines Schuldspruchs in allen Anklagepunkten droht ihm dort eine theoretische Höchststrafe von 175 Jahren Haft. "Die USA wollen ein Exempel statuieren, damit niemand mehr auf die Idee kommt, etwas zu veröffentlichen, so schlimm es auch sei", meint Annemie Schaus.
In ihren Augen ist die Anklage eindeutig politisch motiviert. Anders als Manning oder der frühere Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, dessen Offenlegung von Abhörpraktiken zur NSA-Affäre führte, sei Assange als Journalist auch nicht an ein Berufsgeheimnis gebunden. "Das Ziel von Wikileaks war immer schon, Dokumente von allgemeinem Interesse zu verbreiten, die von Informanten oder Whistleblowern bereitgestellt werden. Wikileaks überprüft die Richtigkeit der Dokumente und ob sie von allgemeinem Interesse sind, und stellt sie unkommentiert zur Verfügung, damit die Leute sich selbst eine Meinung bilden können."
Und was die von Chelsea Manning offengelegten und über Julian Assanges Wikileaks veröffentlichten vorgeblich sicherheitsstrategischen Informationen betrifft, wiegelt Annemie Schaus mit einem historischen Vergleich ab: "Es ging nicht um die Landung in der Normandie. Er hat nur Dokumente über Dinge veröffentlicht, die gegen internationales Recht verstoßen, und er hat niemanden in Gefahr gebracht."
Die in Schweden gegen Assange erhobenen Vorwürfe wegen mutmaßlicher Sexualdelikte sind zum Teil verjährt, zum Teil wurden sie wegen zu dünner Beweislage nicht weiterverfolgt. Auch hier glaubt Annemie Schaus an System: "Man weiß inzwischen, dass die Vorwürfe konstruiert waren, um ihn als Person zu diskreditieren und von der eigentlichen Sache (dem was die veröffentlichten Dokumente aufgedeckt haben) abzulenken."
Ursprünglich waren es diese Vorwürfe, denen sich Assange in Schweden nicht stellen wollte, aus Angst an die USA ausgeliefert zu werden, was ihn veranlasste, in der Londoner Botschaft von Ecuador politisches Asyl zu beantragen. Daraus wurde ein fast sechseinhalbjähriger Hausarrest, oder wie es Assange nannte, eine "willkürliche Inhaftierung". Nach der Aufhebung des Asyls durch den ecuadorianischen Präsidenten Moreno im vergangenen Frühjahr wurde Julian Assange in London festgenommen.
Seine Haft wegen Verstoßes gegen die Bewährungsauflagen hat er seit September abgesessen. Dennoch muss er im Gefängnis bleiben, solange nicht über das Auslieferungsersuchen der USA entschieden ist. Und zwar im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh - in Isolationshaft.
Mittlerweile fürchten Ärzte um sein Leben und seine Gesundheit, der UN-Sonderberichterstatter für Folter, der Schweizer Nils Melzer, hat bei Assange Anzeichen ausgemacht, wonach er psychologischer Folter ausgesetzt sei.
Auch Annemie Schaus hat ihren Mandanten dort besucht: "Ja, zuletzt am 27. Dezember. Er ist sehr geschwächt. Aber wir haben uns unterhalten können. Nun kann ich nicht sagen, wie es vorher oder danach war. Seit zwei, drei Tagen wurden die Haftbedingungen gelockert."
Was den Antrag auf Auslieferung betrifft, setzt seine Verteidigung jenseits aller denkbaren politischen Erwägungen auf die britische Justiz. "Der Prozess ist nicht fair. Julian hat nur wenig Kontakt mit seinen Anwälten und kann nicht die vollständige Akte einsehen, die aus tausenden von Seiten besteht", erklärt Annemie Schaus. "Die Verletzung seiner Menschenrechte ist so vielfältig, dass ich davon ausgehe, dass die britische Justiz die Auslieferung ablehnen wird. Zumindest hoffe ich das. Dafür ist aber sehr wichtig, dass die Zivilgesellschaft mobilisiert wird."
Solidaritätsaktion in Brüssel
Darum organisiert das Unterstützungskomitee "Belgium4Assange" an diesem Mittwoch eine Solidaritätsaktion in Brüssel. Am Vormittag verleiht Carta Academica, ein Zusammenschluss von belgischen Akademikern, demonstrativ Ehrentitel an Julian Assange, Edward Snowden, Chelsea Manning und Sarah Harrison, als die inoffizielle Nummer zwei von Wikileaks. "Julians Vater wird auch kommen und die Auszeichnung entgegennehmen. Die vier können natürlich nicht persönlich da sein", weiß Annemie Schaus.
Zu der Verleihung werden namhafte Politiker, Journalisten und Vertreter der Zivilgesellschaft erwartet. Am Nachmittag suchen die Veranstalter dann die breite Öffentlichkeit, indem sie die Place de la Monnaie kurzerhand in Julian-Assange-Platz umbenennen. Dazu stellen sie dort eine Figurengruppe des italienischen Künstlers Davide Dormino auf, die schon in anderen Städten wie Berlin zu sehen war. Sie zeigt Bronzestatuen von Julian Assange, Edward Snowden und Chelsea Manning, die auf Stühlen stehen.
Daneben ist ein Stuhl frei: für Passanten, die sich darauf stellen wollen, um das zu sagen, was sie wollen. Ein Symbol für Meinungsfreiheit und das Recht auf Information, findet Annemie Schaus: "Wir sind nicht alle Whistleblower und ich weiß, dass Edward Snowden und Chelsea Manning keine Lust hatten, Whistleblower zu werden und daraufhin nun ein trauriges Leben zu führen. Aber es ist fundamental für die Demokratie, was hier passiert."
Stephan Pesch