Als die Mauer zwischen Westen und Osten fiel, saßen wohl alle gebannt vor dem Fernseher. Alle? Zeitzeuge Jens Giesdorf hat den Fall der Berliner Mauer schlichtweg verpasst. "Ich war zu der Zeit wehrdienstverpflichtet in der Nationalen Volksarmee. Und als diensttuender Offizier musste ich einen Panzer in die Reparatur bringen. Der Transport hat drei Tage gedauert und in den Zeiten, in denen es noch kein Internet und kein Handy gab, waren wir wirklich von der Außenwelt abgeschnitten."
Von den Ereignissen in Berlin erfuhr Giesdorf also erst Tage später bei seiner Rückkehr in die Kaserne. "Da haben meine Soldaten die Nachrichtensendung geguckt. Dieses Bild habe ich noch sehr gut im Kopf: In Berlin wurde gerade ein Stück Mauer mit einem Kran herausgehoben. Das war für mich so surrealistisch, dass ich gefragt habe: Jungs, was guckt ihr da für einen Film? Und dann haben sie gesagt: Nee, das ist kein Film, das sind die Nachrichten."
"Es gärte schon in der DDR, aber dass dann wirklich die Mauer fällt, das war etwas, das ganz weit weg und eigentlich unmöglich erschien." Das für unmöglich gehaltene Aus der DDR wurde also real und brachte für Giesdorf positive Veränderungen mit sich. Als erste Handlung quittierte er seinen Dienst bei der NVA. Denn nun wurde ihm ein Weg geöffnet, der ihm zu DDR-Zeiten für immer verschlossen geblieben wäre.
"Weil ich mich während der Armee-Zeit geweigert habe, in die Partei einzutreten, ist mir mein Studienplatz aberkannt worden. Ich hätte also in der DDR nicht studieren dürfen. Gott sei Dank habe ich nach der Wende im September 1990 einen Studienplatz bekommen und konnte dann in Magdeburg studieren."
Neben dieser positiven Erfahrung brachte die Wende jedoch auch Probleme mit sich. Vor allem für Menschen, deren Häuser durch die Mauer getrennt waren, gab es ganz konkrete Fragen, wie: Wer besitzt jetzt eigentlich was? Es stellten sich aber auch viel komplexere Fragen: Welche Rechte erhalten die neuen Mitbürger in der Bundesrepublik? Welche Pflichten? Welche Unterstützung? Wie wird die Ex-DDR wirtschaftlich integriert?
Giesdorf erinnert sich gut an diese Zeit. Damals hätte er nie gedacht, dass jene Probleme auch noch 30 Jahre später Thema sein werden. "Ich hätte mir das nicht vorstellen können, dass diese Probleme jetzt zu diesem Jubiläum auch nochmal richtig hochkochen. Ich habe das erlebt im Oktober auf der Frankfurter Buchmesse, da war das durchaus ein Thema, das aus einem ganz anderen Blickwinkel als in den letzten Jahren diskutiert wurde. Es kamen viel mehr die gemachten Fehler auf politischer Seite zum Tragen."
Einer dieser politischen Fehler war und ist wohl auch immer noch die Kommunikation zwischen dem ehemalige Osten und der Bundesrepublik. Rückblickend sieht Giesdorf vor allem im Austausch zwischen Ost und West die Ursache für die anhaltende Debatte: "Man hat nicht miteinander gesprochen, sondern übereinander. Ich denke, in den nächsten Jahren sollte man sich mehr an einen Tisch setzen und diskutieren, wo die Fehler gemacht worden sind."
"Ich hätte mir vorstellen können, dass es viel schneller zusammenwächst. Aber das ist nicht der Fall und ich denke, da werden sicher noch einige Jahre ins Land gehen, damit man da wirklich auf Augenhöhe diskutieren kann." Auf der gesellschaftlichen Ebene ist die deutsche Einheit also noch nicht ganz abgeschlossen.
Zeitzeuge Steffen Harmel
Auch Steffen Harmel, Deutschlehrer am Robert-Schuman-Institut in Eupen, lebte am 9. November 1989 in der ehemaligen DDR. Auch er hat den Mauerfall an sich verpasst. "Ich bin am nächsten Tag zur Arbeit gekommen und habe lange, betretene Gesichter gesehen. Also keine Spur von Freude. Erst da habe ich mitbekommen, dass die Mauer auf ist. Erst einen Tag später, am 11.11., bin ich nach Westberlin gefahren."
Erinnerungsabend
Nächsten Mittwoch veranstaltet Jens Giesdorf mit dem Geschichtsverein Zwischen Venn und Schneifel einen Vortragsabend mit ostbelgischen Zeitzeugen. Wie und vor allem wo diese den Fall der Mauer erlebt haben, das kann man ab 19:30 Uhr im Hotel-Restaurant "Wisonbrona" in Wiesenbach erfahren.
sd/km