"Am Anfang konnte ich an der Kletterwand nicht ganz hochgehen, weil ich einfach zu viel Angst hatte. Da kam Nicolas und hat mir gesagt: Doch, doch. Du kriegst das hin. Ja, dann habe ich es hinbekommen nach zwei, drei Monaten, glaube ich", erzählt der 14-jährige G. "Ich habe es geschafft, meine Angst zu überwinden. Ein Jahr später waren wir im Talsperren-Turm. Da habe ich gesagt, nein, schaffe ich nicht. Danach trotzdem versucht mit Unterstützung von meiner Erzieherin und von meinem Direktor. Dann habe ich es geschafft am Ende."
Das Time-Out hat G. aufgefangen und gestärkt. Unscheinbar in einem Wohnhaus neben dem BRF-Funkhaus bietet die Einrichtung Jugendlichen eine Auszeit vom Schulbesuch. In einem geschützten und ruhigen Rahmen, losgelöst vom Schulstress können sie neue Perspektiven erarbeiten.
"Wenn ein Jugendlicher das Time-Out besucht, gibt es irgendeine Form von Überforderung in der Situation. Manchmal ist es bei den Eltern, bei den Erziehungsberechtigten, bei den Jugendlichen, in den Schulen. Irgendwie kommt ein Zustand, wo keiner mehr so richtig weiter weiß. Die Jugendlichen haben alle immer ein ganz klares Ziel vor Augen: Sie möchten zum Beispiel wieder zurück in die Schule gehen, sie möchten den Anschluss an die Lehre schaffen oder einen Schulabschluss erreichen. Und irgendetwas scheint da so schief zu laufen oder nicht zu funktionieren", erklärt der Time-Out-Koordinator Nicolas Watroba.
Leben im Time-Out
Sechs Schüler besuchen zur Zeit das Time-Out. Bis die Jugendlichen angedockt sind und sich auf das Projekt einlassen, dauert es meistens eine Weile. So war es auch bei dem 14-jährigen G.: "Am Anfang im Time-Out war ich ein bisschen schüchtern und konnte nicht mit jedem reden außer mit meiner Erzieherin. Ich kam auch nicht jeden Tag zur Schule. Dann hat meine Erzieherin mich abgeholt zu Hause während vier, fünf Monate jeden Tag. Dann nach fünf Monaten haben wir versucht, dass ich jede zwei Wochen einen Tag immer mehr mit dem Bus ankomme. Das hat geklappt. Heute kann ich alleine mit dem Bus zum Time-Out kommen."
Im Time-Out erhält jeder Schüler einen individuell angepassten Lehrplan. Grundlage ist der Lernvertrag: Eine Vereinbarung zwischen Lehrer und Schüler, in der schulische und soziale Ziele festgehalten werden. Das selbstbestimmte Lernen fordert und fördert die Schüler.
"Überraschend gut gehen sie damit um," sagt Patrick Vahlefeld, Lehrer im Time-Out. "Die Schüler, die eigentlich nicht so motiviert sind von Natur aus für schulische Sachen, sind motivierter, wenn sie an Sachen arbeiten dürfen, die sie sich selbst ausgesucht haben oder wo sie einen Sinn drin sehen. Das bedeutet aber nicht, dass wir hier totale Freiheit geben, wo der Schüler das komplett machen darf komplett, was er möchte. Wir bewegen uns trotzdem noch im Rahmenplan der DG und versuchen dort anzusetzen, wo der Schüler die meisten Bedürfnisse hat. Nur da hat er halt die Wahl: Ob er heute an Deutsch arbeitet oder an Mathe, ist mir egal. Hauptsache am Ende der Wochen hat er Lernfortschritte gemacht, Ziele erreichen können, und schafft es so, peu a peu in der Gesellschaft Fuß zu fassen."
Durch das selbstbestimmte Lernen entwickeln die Schüler eine neue Motivation, sich auch anderen Zielen wieder ernsthaft zu widmen – so die Erfahrung des Time-Out. "Dann schauen wir mit ihnen: Wo sind Stärken, wo sind Potentiale, die sie schon mitbringen. Wo sind Stolpersteine, Schwierigkeiten, die man manchmal ausgleichen kann. Manchmal muss einfach man mit ihnen klar kommen. Und dann fangen wir an, Unterstützungen zu organisieren und mit ihnen zu überlegen, wie können wir den nächsten Schritt machen", sagt Nicolas Watroba.
Von einem Projekt zu einer festen Einrichtung des ZFP-Kompetenzzentrums für Regel- und Fördersekundarschüler hat sich das Time-Out entwickelt. Ziel ist es, neben schulischen auch berufliche und persönliche Lebensperspektiven für die 12- bis 18-Jährigen zu schaffen – mit Hilfe einer intensiven pädagogischen Betreuung. Fünf Fachkräfte betreuen maximal 12 Jugendliche.
"Ich würde es nicht Luxus nennen, sondern von Notwendigkeit reden", ist sich Christiane Feldmann vom ZFP Kompetenzzentrum sicher. "Wenn man den Anspruch hat - das ist ja ein Anspruch, den Gesellschaft haben sollte, alle mitzunehmen und Teilhabe zu ermöglichen - dann muss man auch Bedingungen schaffen, wo man Menschen mitnimmt, die eben nicht ins gängige System passen. Insofern ist für mich das Time-Out kein Luxus, sondern wirklich eine brillante Notwendigkeit."
Kein Abstellgleis
Eine Notwendigkeit und eine Chance für die Jugendlichen - so möchte das Time-Out wahrgenommen werden. "Sie benötigen einen geschützten Rahmen, wo sie gezielt gestärkt werden, wo wir Rücksicht nehmen auf ihre Bedürfnisse", sagt Nicolas Watroba. "Die Jugendlichen sind sehr verhaltenskreativ an dieser Stelle und brauchen diesen individuellen Rahmen. Es ist eine Chance, kein Abstellgleis, es ist aber auch keine Zauberschule, wo jemand ins Time-Out kommt und sich nach sechs Monaten verändert hat. Sondern wir versuchen, mit den ganzen Eigenarten des Jugendlichen so weit wie möglich zu kommen – schulisch gesehen, Perspektiven zu erarbeiten. Das ist für die Jugendlichen ein Riesenpotential."
Nicht jeder Jugendliche gibt offen zu, dass er gerne hierher kommt – so wie G. Doch viele schaffen hier das, was sie in der Schule nicht schaffen. Auch für G. waren die zwei Jahre beim Time-Out ein Gewinn: "Das Selbstvertrauen habe ich wieder gefunden, weil ich es sehr lange verloren hatte. Meinen Grundschul-Abschluss habe ich gekriegt. Zum Glück war das Time-Out da, weil ich es nie hätte machen können, weil ich nicht zur Schule ging. Dann habe ich den Abschlusstest gemacht, um eine Lehre machen zu können."
Das macht ihm Mut. Mit Hoffnung und Zuversicht kann G. jetzt nach vorn blicken. "Ich würde gerne entweder Elektroinstallateur machen oder Automechaniker. Hoffentlich kriege ich das hin", sagt er lachend.
Michaela Brück