"Ein modernes Gefängnis besteht vor allem aus Beton, Stahl und Glas - man hat keinen Kontakt mit der Natur. Im Gegensatz dazu kann man hier im Garten Gemüse und Blumen anbauen und lernt jede Menge. Alles Dinge, die man auch draußen brauchen kann und das interessiert mich sehr, denn ich will nach meiner Strafe damit arbeiten", sagt Insasse Jean-Claude.
Jean-Claude arbeitet seit vier Jahren im Gefängnisgarten. Er könnte nächstes Jahr vorzeitig entlassen werden. Dann träumt der 66-Jährige von einem neuen Leben auf einem abgelegenen Stück Land seiner Familie. "Mit dem, was ich hier gelernt habe, werde ich das Land zu einem großen Obst- und Gemüsegarten machen. Davon werde ich mich ernähren und im Sommer auch dort leben. Um das zu lernen, habe ich mich extra nach hier verlegen lassen. Hier lernt man was, das ist nicht selbstverständlich in einem Gefängnis."
Der Gefängnisgarten ist also nicht nur eine begehrte Möglichkeit für die Gefangenen, mal an die frische Luft zu kommen, er ist auch ein möglicher Grundstein für ein Leben nach der Haft - nicht nur wegen der praktischen Erfahrungen. "Ein Garten zeigt uns, wer wir sind. Außerdem lehrt er uns Beharrlichkeit, denn nicht alles klappt immer auf Anhieb. Es formt also unsere Persönlichkeit, beeinflusst aber auch unsere Beziehung zu anderen. Die Gruppe muss sich organisieren, muss zusammenarbeiten, damit am Ende das bestmögliche Resultat erzielt wird", erklärt Christian Dave, der Projektleiter des Gefängnisgartens.
Dave arbeitet eigentlich in einem Naturparkzentrum. Das Gartenprojekt hat seine Ansichten über den Strafvollzug nachhaltig beeinflusst. "Man fragt sich manchmal schon, was ein Gefängnisaufenthalt bringen soll und ob es diesen Zweck erfüllt. Hilft es wirklich, Menschen wieder in die Gesellschaft zurück zu bringen? Da gibt es schon Schwierigkeiten. Wir versuchen hiermit, einen Teil zu einer positiven Veränderung beizutragen, aber es bleibt eine ziemlich harsche Umgebung."
Zu dieser positiven Veränderung will auch das Elsenborner Unternehmen Ortis beitragen. Deshalb hat es den Gemüsegarten um eine Reihe von Heilpflanzen ergänzt. Zu der Wahl dieses doch speziellen Standortes kam es, "weil wir alle an einem gewissen Punkt unseres Lebens in gewissen Zwängen stecken können, die uns daran hindern, uns weiter zu entwickeln, die uns dazu zwingen an einem Punkt stehen zu bleiben, aus dem wir einfach keinen Ausweg mehr wissen", wie Birgit Roehl von Ortis erklärt.
"Dann haben wir uns gedacht, das Gefängnis ist so ein Ort, wo man nach neuen Zielen sucht, vielleicht nach neuen Lösungen. Und das wäre genau das Richtige, hier vielleicht mit den Pflanzen wieder eine Öffnung nach außen herzustellen." Menschen durch Pflanzen heilen, im wörtlichen sowie im übertragenen Sinn, das passt gut in die Unternehmensphilosophie von Ortis.
Die Wahl fiel auf Marche-en-Famenne, weil es ein Vorzeigegefängnis ist. Die Realität in der Mehrheit der belgischen Gefängnisse sieht ganz anders aus, weiß auch Christian Dave. "Die Insassen hier sind oft vorher in anderen Gefängnissen gewesen, so wie Forêt oder Lantin in Lüttich. Die sind viel härter und - meiner Meinung nach - viel nutzloser. Die Leute werden da nur weggesperrt, die Haft da hilft ihnen nicht, später wieder ein normales Leben zu führen - im Gegenteil: Sie reißt sie nur weiter runter. Ich bin zwar noch nie selbst da gewesen, aber das Gefühl habe ich."
Wer in Marche sitzt, hat also Glück gehabt, das Gefängnis steht für einen Gesinnungswandel im Strafvollzug. Bis die Mehrheit der Gefängnisse so weit ist, ist es aber noch ein langer Weg.
ake/est