Wenn in den letzten zwei Jahrzehnten irgendwo in der Deutschsprachigen Gemeinschaft ein neuer Straßenname vergeben wurde, war eine Frau immer involviert: Marianne Marquet. Sie arbeitet seit rund 25 Jahren im Ministerium der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Eupen. Die juristische Beraterin ist zuständig für die lokalen Behörden und öffentlichen Aufträge. In diesen Bereich fällt auch die Bezeichnung von Straßennamen. Aber …
"Neue Straßennamen werden durch die Gemeinderäte vergeben", stellt Marquet klar. Die Gemeinden entscheiden und nicht sie. Sie überwache nur den korrekten Ablauf bei der Namensfindung.
"Das Gemeindekollegium macht den Vorschlag für eine Namensgebung eines öffentlichen Weges. Sie kann davor die Bevölkerung befragen oder eine Arbeitsgruppe einsetzen. Dieser Vorschlag wird dann der Kommission für die Namensgebung öffentlicher Wege weitergeleitet, die ein Gutachten dazu abgibt."
Das Gutachten werde dann wieder der Gemeinde übermittelt, die dann letztendlich frei entscheiden könne, einen Namen zu vergeben, erklärt Marianne Marquet weiter. Diese Kommission besteht aus drei Ehrenamtlichen, die geschichtlich interessiert sind: Otto Wiesemes aus St. Vith, August Mauel aus Raeren und Herbert Lennertz aus Kelmis. Sie versuchen, die Namensfindung nicht zu beeinflussen, werden aber aktiv, falls der Name keine Sinn macht.
So kommen die Straßen also zu ihren Namen. Wobei sich der Zusammenhang nicht immer gleich erschließt...
Der Sankt-Anna-Weg in Lontzen befindet sich in Nähe der Sankt-Anna-Kirche. Doch wer weiß, dass die Straße von Eupen nach Aachen früher Aktienstraße hieß. Sie wurde seinerzeit von Aktionären der Wollindustrie gebaut. Daran erinnert man in Raeren.
In letzter Zeit wurde jedenfalls nicht nur in Ostbelgien kritisiert, dass besonders viele Straßen nach Männern benannt sind - aber viel zu wenige nach Frauen. Welche Frau hätte einen Straßennamen verdient? Eine Kurzumfrage in der Eupener Innenstadt ergab Namen wie Marie Curie, Elsa Brändström und Hildegard Hamm-Brücher - drei Frauen, die wenig mit Belgien zu tun hatten.
Aber auch Königin Mathilde und Schriftstellerin Amélie Nothomb, die 2015 von König Philippe den Titel "Baronin" erhalten hat, wurden genannt.
Bei dieser Auswahl haben die Belgierinnen aber keine Chance, stellt Marianne Marquet klar: "Die einzige Vorschrift, die wirklich einzuhalten ist, ist, dass die Namen noch lebender Personen nicht verwendet werfen dürfen". Auch eine Frau oder ein Mann aus dem Ausland dürfen in Ostbelgien mit einem Straßennamen geehrt werden. Sie müssen halt nur tot sein.
Doch nicht nur Marianne Marquet weiß, dass in Ostbelgien die wenigsten Straßen einer Person gewidmet sind. Am häufigsten haben die Straßennamen einen örtlichen Bezug. "Nach einer vorsichtigen Schätzung gehe ich davon aus, dass maximal zehn Prozent der vergebenen Straßennamen Personennamen sind. Und von diesen zehn Prozent sind wahrscheinlich nur sehr wenige Frauennamen."
Ungerecht. Aber daran störte sich bei unserer Umfrage auch nicht jede Frau. "Mir ist es eigentlich egal, wie die Straßen heißen, Hauptsache ich weiß, wo sie sind", lacht eine Passantin.
Tatsächlich soll ein Straßenname nicht nur schön klingen. Er soll auch praktisch sein, erklärt Marianne Marquet. Das Aufkommen der GPS-Wegefindung bringe mit sich, dass Verwirrungen vermieden werden sollten. "Rettungskräfte sind oft im falschen Dorf gelandet, weil es Straßennamen gab, die eine Ortschaft aus der gleichen Gemeinde bezeichnet haben", sagt die juristische Beraterin.
Aus diesem Grund sind laut Marianne Marquet in den letzten Jahren auch eine ganze Reihe von Straßennamen abgeändert worden. Sie nennt ein Beispiel aus dem Dorf Amel, wo es eine Straße namens "Schoppener Port" gab. Weil es aber in der Nähe den Ort "Schoppen" gibt, wurde die "Schoppener Port" in "Zum Bambusch" umbenannt.
mz/jp