Seit dem Jahr 1804 pilgern Christen aus dem Eupener Land nach Kevelaer. Und auch Anno 2018 sind sie wieder unterwegs. 123 gehen an den Start - verabschiedet von zahlreichen Freunden, Verwandten und Bekannten, die ihnen alle guten Wünsche mit auf den Weg geben. Er wird steinig sein und schwer, heißt es in einem deutschen Popsong. Und so ist es, aber es ist weit mehr als das. Es ist eine körperliche, eine spirituelle und psychologische Herausforderung. Aber mit Gewissheit: Es ist auf jeden Fall Balsalm für die Seele - ganz abgesehen davon, wie stark religiös motiviert die Teilnahme ist.
Zwei Etappen von über 30 Kilometern, zum Schluss noch einmal knapp 20 bis zum Einziehen in den Wallfahrtsort am unteren linken Niederrhein Nordrhein-Westfalens. Und dann das Ganze in umgekehrter Richtung zurück. Das Stundenmittel: über fünf km/h. Untrainierte bekommen da schon sehr bald ihre Probleme. Ohne Fitness geht nichts. Die Tempomacher achten darauf, dass nicht gebummelt wird und die Gruppe geschlossen zusammenbleibt.
Die Organisatoren haben ganze Arbeit geleistet. Sicherheit wird groß geschrieben, auf belgischem Terrain schützen zwei Polizeiautos die Pilger. Vier Ärzte sind unter ihnen - immer gut für den Notfall, vier Fußpflegerinnen kümmern sich um Blasen und andere Fußwehwehchen, in regelmäßigen Abständen bieten Helfer Wasser an.
Die Kevelaervereinigung hat eine kleine Musikkapelle zusammengestellt, einen eigenen Chor. Eine neue Hauptgebetsgruppe sowie andere Gruppen haben Texte für unterwegs vorbereitet. Es wird gebetet, gesungen, aber auch geplaudert und gescherzt. Immer wieder auch Minuten der Stille, des absoluten Schweigens. Das Thema der diesjährigen Wallfahrt: "Suche Frieden". Es zieht sich wie ein roter Faden durch das Prozessionsprogramm.
Die Pilger - eine bunte Mischung aus Jung und Alt. Der Jüngste ist sechs, der älteste 79. Das Wetter ist perfekt: vorbei die Hitzeperiode, die Sonne scheint, ein frischer Wind weht, Wolken, Bäume und Hecken spenden Schatten. Immer vorneweg: das prächtig geschmückte Kreuz, das von stetig wechselnden Trägern gen Himmel gerichtet wird. Und wer mal eine Gehpause einlegen will, darf sich gerne in einem der drei Büschen ausruhen.
Was motiviert diese Menschen, sich als Pilger auf den Weg zu machen? "Ich gehe so gerne mit, weil ich hier so viele schöne strahlende Augen sehe und so viele schöne Augenblicke habe, die man sonst im Leben nicht hat", sagt Marli Roderburg.
Hannelore Chantraine ist bereits zum 40. Mal dabei. Ihre Motivation? "Einfach mal eine Auszeit vom Alltag haben, sich geistig beschäftigen und Ruhe finden." Und Irene Doum sagt: "Meine Motivation ist immer wieder, die anderen zu treffen und eine andere Gemeinschaft zu erleben."
Robert Sporken ist mit Ehegattin Natalie Kirschvink, seiner achtjährigen Tochter Elena und seinem sechsjährigen Söhnchen Viktor bester Dinge. "Das ist bei uns eine Familientradition. Meine Mutter und mein Großvater sind schon mitgegangen und irgendwann habe ich damit angefangen. Meine Frau geht jetzt zum fünften Mal mit und die Kinder sind jetzt groß genug und kommen auch mit." Und Christoph Schlösser sagt: "Ich gehe mit nach Kevelaer, weil mich hier vieles berührt: die Gemeinschaft, der Chorgesang, das Erleben der Natur und das Wandern."

Geistlicher Begleiter ist der Priester Jean Pohlen. Seine Erfahrung: Jeder, der mitgeht nach Kevelaer, kehrt verändert nach Hause zurück. "Der Rückweg ist noch interessanter als der Hinweg", sagt Pohlen. "Beim Rückweg wird man offener und es wächst etwas. In der Kirche ist das etwas Belebendes."
Rekordhalter unter den Teilnehmern in diesem Jahr ist mit 54 Pilgerwallfahrten Dr. Hubert Chantraine. Er ist froh über die Veränderungen und die Anpassungen, die stattgefunden haben bei der Kevelaervereinigung und der Prozession. "Inhaltlich hat sich im Laufe der Zeit viel geändert. Die Prozession ist jetzt sehr attraktiv für jeden, für Jung und Alt. Das ist eine Veränderung, die man sich im Vorfeld nicht erdenken konnte, denn es ist sehr schwer, etwas in einer konservativen Struktur zu ändern", sagt Chantraine.
Sonntag werden die Pilger aus Eupen und seinem Umland in Kevelaer einziehen, kommenden Mittwoch kehren sie wieder zurück. Wahrscheinlich ganz schön müde, aber ganz bestimmt mit einem Lächeln im Gesicht und mit viel Gelassenheit im Gepäck...
rs/mg