Sie werden nachdenklich, wenn sie über ihre Begegnungen mit den Flüchtlingen erzählen. Die Schüler des 5. Jahres haben die Geschichten von Jugendlichen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak aufgeschrieben. Das Schicksal des 17-jährigen Ismael hat Noah Kohnen besonders berührt. "Damit umzugehen, war nicht sehr einfach. Jemand erzählt dir, dass der Vater vor den eigenen Augen erschossen wurde. Man stellt sich dann vor, wie das bei einem selbst wäre. Da kommen schon Emotionen hoch."
Ein halbes Jahr lang haben sich die insgesamt 16 Schüler mit Gleichaltrigen aus der Klasse der erstankommenden Schüler getroffen und Interviews geführt. Unter ihnen der 19-jährige Ali aus Afghanistan. John Kirchens hat ihn getroffen. "Für ihn war es sehr emotional, darüber zu reden. Er hat seine Schwester und seine Brüder dort gelassen. Aber ich habe viel mit ihm geredet und er hat mir sein Herz geöffnet", sagt John.
Anfangs haben sich die Schüler mit einer größeren Gruppe getroffen, erste Kontakte geknüpft. Später führten sie Einzelgespräche, berichtet Emanuel Peters. "Die Leute wurden von mal zu mal viel offener und wir haben uns auch viel Zeit für sie genommen. Sie waren froh, uns ihre Geschichten erzählen zu können, nachdem wir eine freundschaftliche Bindung zu ihnen aufgebaut hatten. Ich habe auch immer noch Kontakt zu dem jungem Mann."
"Es war für alle schwierig"
Arsen Karapatyan hatte eine besondere Verbindung zu dem Schulprojekt. Der Armenier ist als Kind mit seinen Eltern aus Russland nach Belgien gekommen. "Ich glaube auch, wenn sie jemanden wie mich sehen, der nicht von hier ist und sich hier etwas aufbauen konnte, dann motiviert sie das auch ein bisschen."
Einfach war das Projekt aber nicht, räumen die Jugendlichen ein - vor allem am Anfang. "Es war für alle schwierig. Wir konnten nicht alles verstehen, was sie durchlebt haben, und sie wollten vielleicht auch nicht alles erzählen, sondern auch gewisse Dinge verdrängen. Sie haben sich aber relativ schnell geöffnet, weil sie auch die Möglichkeit gesehen haben, ihre Geschichte zu erzählen und die Last von sich zu lassen. Nach mehreren Monaten konnte man ganz normal reden und es wurde zu einer Freundschaft", sagt Arsen.
Die Broschüre erzählt nicht nur die persönlichen Geschichten der Flüchtlinge. Sie stellt auch deren Herkunftsländer vor, informiert über die Hintergründe der Flucht und soll einen Beitrag zur politischen Bildung leisten. Im Unterricht hat Geschichtslehrer Norbert Nicoll auch Brücken geschlagen - zum Beispiel zu Flucht und Vertreibung im Zweiten Weltkrieg. "Die Menschen waren seinerzeit froh, das ihnen auch jemand geholfen hat. Für St. Vith beispielsweise hatte Brüssel eine Patenschaft übernommen, d.h. die Brüsseler haben den St. Vithern geholfen die Wirren und Folgen des Krieges zu meistern. Krieg hat sich niemand ausgesucht, aber man kann in eine solche Situation geraten. Und dann ist man froh, dass es Menschen gibt, die Humanität und Toleranz leben. Diese Brücke haben wir im Unterricht schlagen können."
Vorurteile abbauen
Die Gespräche mit den Flüchtlingen haben die Abiturienten geprägt und Interesse geweckt. "Wir haben uns in Interviews auch damit auseinandergesetzt, was sie danach machen wollen. Viele wollen zurück, andere wollen bleiben, auch wenn der Konflikt zu Ende ist", berichtet Emanuel Peters. Vorurteile abzubauen, war ein Ziel des Projektes. "Das sind ganz normale Menschen. Warum sollten wir denken, dass sie Terroristen sind oder böse Absichten haben? Sie wollen sich hier eine Zukunft aufbauen und haben Ziele", sagt Noah Kohnen.
Flucht und Vertreibung waren weit weg - jetzt sind sie für die BS-Schüler ganz nah. "Dieses Projekt war ein Augenöffner für mich und ich habe einen ganz anderen Blick auf die Migranten geworfen", sagt John Kirchens.
Diesen neuen Blick hoffen die Abiturienten auch den Lesern ihrer Broschüre zu vermitteln. Das 28-seitige Heft wird an alle Sekundarschulen der DG verteilt und in den Jugendinformationszentren ausgelegt.
mb/mg