Martin Schulz ist allgegenwärtig in "seiner Stadt", die er elf Jahre als Bürgermeister geführt hat, um sich dann ganz der Europapolitik zu widmen, fünf Jahre davon als Präsident des Europäischen Parlaments. Auf den Wahlplakaten in der 40.000 Einwohner zählenden Gemeinde der Städteregion Aachen konkurriert er vor allem mit Dauerkanzlerin Angela Merkel - und zumindest hier ist es ein ausgeglichenes Duell.
Die Würselener sind an diesem Donnerstag mehr mit sich und vielen anderen Themen als der Politik beschäftigt. Die meisten wollen sich vor dem Mikrophon nicht äußern. "Da sind sie bei mir an der falschen Adresse", sagt ein Mittvierziger am Mittag in einem Straßencafé, "die Politiker sind doch alle gleich, wollen nur gewählt werden und machen sich dann die Taschen voll".
Die Meinung wird von der Freundesschar geteilt, ist aber dennoch keineswegs repräsentativ. Denn viele Würselener sind durchaus ein bisschen stolz auf ihren SPD-Martin, dass der es so weit geschafft hat. "Ich glaube schon, dass man stolz darauf sein kann, dass er aus Würselen kommt, aber ich glaube nicht, dass er es schaffen wird. er sollte noch vier Jahre warten, dann hat er eine gute Chance."
So wie dieser ältere Passant am Morlaix-Platz sehen das auch andere. Echte Chancen räumt man dem 61-jährigen Herausforderer gegen die ewige Angela nicht ein. "Die Frau Merkel ist zu stark in der CDU- da wird man keine Chance haben. Ich glaube aber, dass er hier mit der SPD ganz gut Stimmen kriegt."
Anerkennung zollt ihm auch ein Herr im feinen Anzug und mit Aktentasche. Der Mann betont, dass er den Martin aus früheren Zeiten und Lokalitäten kennt. "Er ist ein harter Arbeiter. Man sollte ihn nicht unterschätzen und er hat auch in Europa sehr viel geschafft."
Im exquisiten Bekleidungsfachgeschäft am Markt haben die Verkäuferinnen keinen Zweifel an der Ausstrahlung des einheimischen Kandidaten, der damit wirbt, dass er nur Anzüge von der Stange kauft. "Ich finde, er ist super engagiert und super sympathisch." Alle Befragten, bis auf einen, sind sich übrigens darüber einig, dass es keine Neuauflage der Großen Koalition von CDU und SPD mehr geben soll.
Und schließlich ringt sich ein älterer bekennender SPDler doch noch zu einer glasklaren Aussage für Martin Schulz und gegen Angela Merkel durch. "Wenn Frau Merkel noch vier Jahre an der Macht bleibt, wird es noch schlimmer. Ich würde sagen, dass der Schulz nichts falsch machen kann."
Rückendeckung hat er, der gelernte Buchhändler Martin Schulz in seinem Würselen. Auch wenn der eine oder andere, eher hinter vorgehaltener Hand als vor dem Mikro, erwähnt, dass er sich als Bürgermeister der Stadt auch mal vergaloppiert hat. Etwa beim Spaßbad Aquana, das für die Stadt zum Millionengrab wurde. Was man ihm wiederum positiv anrechnet: Schulz räumte sein Versagen ein und gelobte Besserung. Man traut ihm einiges zu, dem Kandidaten. Aber, ob er das Format zum Kanzler hat, da haben dann doch selbst eingefleischte Lokalpatrioten leise bis starke Zweifel. Der Wahlsonntag wird's zeigen.
rs/mg - Illustrationsbild: John MacDougall/AFP