Lautstark ging es am Dienstag zu - und bunt. Grün, rot und blau trugen die Demonstranten, die Farben der drei großen Gewerkschaften. "Das Maß ist voll" – unter dieses Motto ist die Kundgebung gestellt worden. Die Menschen seien es leid, ständig zur Kasse gebeten zu werden, während Großverdiener und Unternehmer ungeschoren davon kämen. Die CSC wirft der Mitte-Rechts-Koalition ebenfalls mangelnde Dialogbereitschaft vor. Die Kritik richtet sich in erster Linie aber gegen die in den Augen der Demonstranten ungerechte Steuerpolitik.
Einige Demonstranten gehen sogar noch einen Schritt weiter und wollen mit ihren Aktionen den Sturz der Regierung herbeiführen. Ein FGTB-Anhänger richtete seine Kritik direkt an N-VA-Chef Bart De Wever: Die Reichen lasse man in Ruhe, während die anderen immer mehr zahlen müssten und dafür immer weniger bekommen würden.
Zu spüren war der Arbeitsausstand vor allem in öffentlichen Nahverkehr. Währen die Züge der SNCB fast ganz normal fuhren, sah die Lage bei De Lijn, STIB und TEC ganz anders aus. In Antwerpen waren kaum Busse unterwegs, ebenso in Lüttich und Charleroi. Und auch in Brüssel wurden die U-Bahn-, Straßenbahn und Bus-Linien nur eingeschränkt bedient.
Zum Schluss des Protestmarsches durch die Hauptstadt kam es erneut zu Ausschreitungen. In der Nähe des Südbahnhofs warfen Krawallmacher mit Steinen, Absperrgittern und Flaschen auf die Polizei. Die setzte daraufhin mehrmals die Wasserwerfer ein. Zehn Menschen wurden verletzt, darunter zwei Polizei-Beamte. Mehrere Demonstranten wurden festgenommen.
Die Großdemo bildet den Auftakt zu einer regelrechten Protestwelle: Kommenden Dienstag wird der öffentliche Dienst bestreikt, darunter die nationalen Eisenbahngesellschaft SNCB. Am 24. Juni will die FGTB einen landesweiten Streik durchführen. Ende September soll es erneut eine Großdemo in Brüssel geben und Anfang Oktober einen Generalstreik.
DG-Gewerkschaftler in Brüssel
Renaud Rahier, der überberufliche Sekretär der FGTB sagte im BRF-Interview, er sei sehr zufrieden mit der Beteiligung der Gewerkschafts-Anhänger aus der Region. Die Ausschreitungen hingegen bedauert er: "Ein paar Idioten haben wir immer. Das ist schade, weil sich dann die ganze Presse nur auf die Ausschreitungen konzentriert und der Sinn der Sache untergraben wird." "Diese Ausschreitungen verurteilen wir", sagt auch Bernd Despineux, Bezirkssekretär der CSC. "Demonstrationen sind ein demokratisches Grundrecht, aber nur solange sie friedlich ablaufen."
Kritik an den Streikaktionen weist Rahier scharf zurück: "Hätten unsere Großväter und Väter nicht gestreikt, hätten wir heute kein Urlaubsgeld und würden auch nicht die 38-Stunden-Woche verteidigen, denn dann würden wir immer noch 60 Stunden pro Woche arbeiten." Außerdem beklagt er, dass die Gewerkschaftsaktionen in Belgien nicht den gleichen Rückhalt in der Bevölkerung genießen, wie die Proteste gegen die Arbeitsmarktreformen in Frankreich.
Finanzminister Johan Van Overtveldt hatte den Gewerkschaften vorgeworfen, nicht kohärent zu argumentieren. Sie seien stets gegen Sparmaßnahmen, gegen Indexsprung und die Rente mit 67 würden aber gleichzeitig starke Sozialsysteme fordern. Dies passe nicht zusammen. Dem kann Despineux nicht folgen: "In die Sozialsysteme zahlen die Arbeitnehmer ein. Diese Regierung hat den Arbeitgeberanteil jedoch von durchschnittlich 32 Prozent auf 25 Prozent gekürzt. Das hätten wir als Gewerkschaft abgelehnt. Wir brauchen Sozialsicherheit von der Geburt bis zum Tod. Das muss auch so bleiben."
Für Renaud Rahier kann es aktuell nur eine Lösung geben: "Diese Regierung muss weg", poltert er im BRF-Interview. Auf Dialog setzt er nach den Erfahrungen der letzten zwei Jahre nicht mehr. "Vom Tax-Shift ist bei mir nichts angekommen. Die paar Euro, die ich da mehr bekomme, habe ich durch Steuererhöhungen an anderer Stelle wieder verloren." Auch Jobs habe die neue Regierung nach Auffassung von Rahier nicht geschaffen.
Bernd Despineux sagt: "Wir müssen die Regierung an den Verhandlungstisch zwingen. Die Regierung muss ihren Monolog abschaffen und wieder in den Dialog mit den Sozialpartnern treten." Einen Sturz der Regierung, wie Rahier es fordert, könne er persönlich zwar unterstützen, doch mahnt Despineux auch: "Wir wissen ja nicht, welche Regierung danach kommt. Außerdem müssen Demokraten mit allen anderen Demokraten arbeiten können. Doch diese Regierung outet sich immer mehr als nicht-demokratisch."
akn/rs/okr - Bild: Nicolas Maeterlinck/Eric Lalmand (belga)