Die Kundgebung startete um 11:30 am Nordbahnhof. Zur Teilnahme aufgerufen haben die drei Gewerkschaftsverbände des Landes gemeinsam. Christliche, sozialistische und liberale Gewerkschaft wollen lautstark gegen die Reformagenda der Regierung von Charles Michel protestieren. Dazu zählen vor allem die Erhöhung des Rentenalters, die Lockerung der 38-Stunden-Woche und Sparmaßnahmen im Öffentlichen Dienst.
Die Demonstration zog am späten Vormittag vom Nordbahnhof über die Boulevards im Zentrum der Hauptstadt zum Südbahnhof. Die Polizei war dort massiv präsent, um gewalttätige Ausschreitungen wie bei den Großkundgebungen in den letzten zwei Jahren zu verhindern.
Die Polizei schätzte die Zahl der Teilnehmer auf inzwischen rund 60.000. Erwartet wurden rund 50.000.
Vor allem Mitglieder der drei großen Gewerkschaften CSC, FGTB und CGSLB, aber auch Oppositionspolitiker allen voran die linksextreme PTB demonstrieren. Auch der ehemalige Premierminister Elio Di Rupo von der PS wurde unter den Demonstranten gesichtet.
Die Demonstration verlief ohne Zwischenfälle. Allerdings sorgte eine Gruppe Maskierter gegen Ende der Veranstaltung für Unruhe indem sie Polizisten mit Flaschen und Steinen bewarfen. Es gab mehrere Festnahmen.
"Das Maß ist voll" – unter dieses Motto wurde die Kundgebung der Gewerkschaften gestellt. Viele halten die Reformen der Regierung für ungerecht. Die Leute seien es leid, immer wieder zur Kasse gebeten zu werden während Großverdiener und Unternehmer in Ruhe gelassen würden. Außerdem werfen sie der Regierung vor, keinerlei Beachtung zu erfahren – einfach nicht angehört, nicht ernst genommen zu werden.
Einige Demonstranten gehen sogar noch etwas weiter und wollen mit ihren Aktionen den Sturz der Mitte-Rechts-Regierung herbeiführen. Einer der FGTB-Anhänger richtet seine Kritik direkt an N-VA-Chef Bart De Wever. Die Reichen lasse man in Ruhe, während die anderen immer mehr zahlen müssten und dafür immer weniger bekommen würden. Der Ärger, die Wut bei einigen ist also deutlich heraus zu hören.
Zurückhaltende Reaktion der Regierung
An einem Demonstrationstag regiert die Regierung eher zurückhaltend oder sogar gar nicht auf Proteste. Im Vorfeld hat Premierminister Charles Michel nochmal betont, was gut läuft. Und das auch anhand von Zahlen: Weniger Arbeitslose, mehr Firmengründungen, mehr Gehalt dank des Tax Shifts. Finanzminister Johan Van Overtveldt wirft den Gewerkschaften vor, nicht kohärent zu sein. Einerseits seien sie gegen die Sparmaßnahmen, gegen die Rente mit 67 und gegen den Indexsprung. Gleichzeitig forderten sie aber starke Sozialsysteme. Das passe nicht zusammen, sagte Van Overtveldt.
Wenn wir so weitermachen wie bisher – also nicht länger arbeiten und keine Reformen durchführen – dann werde unser Sozialsystem über kurz oder lang nicht mehr finanzierbar sein, warnt der Finanzminister, der den Gewerkschaften vorwirft, nicht ehrlich zu sein und ihren Mitgliedern nur die halbe Wahrheit zu erzählen.
Verkehrsbehinderungen
In der Hauptstadt kommt es zu erheblichen Verkehrsbehinderungen. Die Polizei hat davon abgeraten, mit dem Auto ins Zentrum zu fahren. Die Züge der SNCB verkehren ganz normal, beim öffentlichen Nahverkehr muss aber landesweit mit Verspätungen und Ausfällen gerechnet werden.
In Brüssel sind nur 50 Prozent der Metro- und Straßenbahnlinien besetzt. Außerdem fahren nur sehr wenige Busse. Viele Fahrer hatten angekündigt, an der Demo teilnehmen zu wollen. Im Raum Lüttich-Verviers verließ am Morgen lediglich ein Drittel der Busse die Depots. In Charleroi fielen mehrere Dutzend Busse aus.
Auch im Eupener Land gibt es Störungen. Hier fahren nur sieben von zehn Bussen. Bedeutende Probleme gibt es auch in Flandern, unter anderem in Antwerpen.
belga/cd/akn - Bild: Dirk Waem (BELGA)
Ich bin gerade zu Gast in einem Bürogebäude der EU und kann den Vorbeimarsch am Place Rogier gut beobachten. Es werden etliche Feuerwerkskörper gezündet.
Der Marsch kommt langsam voran.