Jesiden werden vom Islamischen Staat (IS) als Ungläubige betrachtet und daher verfolgt, gefoltert und getötet. "Das führt zur Flüchtlingskrise, weil die Menschen keine andere Wahl haben. Sie kämpfen ums Überleben", sagt Rima Tüzüm, die überall in Europa aus auf das Schicksal ihrer Landsleute aufmerksam macht. Die Heimat der Jesiden im Norden Iraks und Syriens konnte inzwischen größtenteils von der Terrormiliz IS befreit werden, dennoch können viele nicht zurück. "Es liegen Mienen dort. Wir können diese Mienen nicht räumen, weil die kurdische Regionalregierung nichts durchlässt."
Schuld daran ist nach Ansicht Tüzüms die Einflussnahme sämtlicher Nachbarländer, die sich in Syrien und im Irak einen Stellvertreterkrieg um mehr Macht im Nahen Osten liefern. Die Folge: Noch mehr Zerstörung und ein noch komplexerer Konflikt. Den IS könne man militärisch besiegen. Das Land befrieden müsse man aber anderswo. "Für mich ist wichtig, was gerade in Genf passiert. Inwieweit dort die Friedensgespräche voran gehen und inwieweit die Minderheiten dabei einbezogen werden. Das ist das Hauptproblem, mit dem wir gerade zu kämpfen haben. Denn man will uns nicht an den Tisch lassen. Aber es wird ohne uns Minderheiten keine Lösung geben."
Die Jesiden fordern ein Mitspracherecht im neuen Irak und im neuen Syrien. Sie schauen dabei ganz besonders auf föderale Staaten im Westen wie Belgien, deren Staatsstruktur für ein friedliches Miteinander als Vorbild dienen kann. Weiß auch Außenminister Didier Reynders (MR): "Das belgische Modell hat seine Schwächen, aber hier leben verschiedene Gemeinschaften seit Jahrzehnten friedlich zusammen", sagt Reynders. Das sei nur möglich, weil man gewisse Zuständigkeiten an die Teilstaaten abgegeben habe. Im Irak werde kein Frieden möglich sein ohne eine gewisse Autonomie für unter anderem Kurden, Sunniten und Schiiten.
Für die Föderalabgeordnete Kattrin Jadin (PFF) kann Belgien der Krisenregion auf drei Ebenen helfen. "Auf der militärischen Ebene, um den Islamischen Staat handlungsunfähig zu machen. Zweitens bleibt natürlich die humanitäre Hilfe und drittens unser Mitwirken an einem demokratischen Wiederaufbau, der sich den Menschenrechten und dem Respekt vor Minderheiten verschreibt."
Auch wenn die Lage vor Ort für viele Jesiden aussichtslos erscheint, Rima Tüzüm hat noch Hoffnung. Denn: "Was war Europa und was ist Europa heute? Europa hat zwei Weltkriege hinter sich. Aber heute ist etwas Schönes aus Europa geworden. Das kann auch im Mittleren Osten zustande kommen, wenn die Europäer etwas aktiver wären, nicht alles den USA oder anderen überließen. Europa kann so viel zu diesem politischen Prozess beitragen, weil es selbst diesen Weg gegangen ist."
Alain Kniebs - Bild: Laurie Dieffembacq (belga)