Über dem Prozess schwebt ein Name: Abdelhamid Abaoud. Der wenige Tage nach den Anschlägen von Paris getötete Islamist soll der Auftraggeber der Terrorzelle von Verviers gewesen sein. Von Syrien oder Griechenland aus soll er die Operationen geleitet haben. Sein Spitzname: "Omar".
Der Hauptverdächtige vor Gericht ist Marouan El Bali – der dritte Mann, der sich bei der Erstürmung durch die Polizei in der Wohnung in Verviers befand und gefasst werden konnte. Obwohl in den Haus Waffen, Munition und Zutaten für TATP-Sprengstoff befanden beteuert er aber seine Unschuld. Er habe nichts von den Anschlagsplänen gewusst und zur Tatzeit nur einen Freund vor Ort besucht. Sein Anwalt wird daher auf Freispruch für seinen Mandanten plädieren. Es lägen keine Beweise gegen seinen Mandanten vor, sagt Sébastien Courtoy. Kein einziger Polizist habe ihn schießen sehen. Außerdem seien weder seine Fingerabdrücke noch DNA-Spuren auf den Waffen sichergestellt worden.
Die Staatsanwaltschaft bleibt aber dabei: El Bali war Mitglied der Terrorzelle und ganz bestimmt nicht zufällig in dem Versteck in Verviers.
Rückblick
Rückblick: Am frühen Abend des 15. Januar 2015 startet die Polizei einen großen Anti-Terror-Einsatz in der Rue de la Colline im Zentrum von Verviers. Die Beamten werden sofort aus der Wohnung heraus beschossen. Mit Kriegswaffen, wie sich später herausstellen wird. Sichergestellt werden mehrere Kalaschnikows, Handfeuerwaffen, Munition und Produkte zur Herstellung von Sprengstoff. Bei dem Einsatz ums Leben kommen die beiden Hauptverdächtigen Khalid Ben Larbi und Sofiane Amghar. Zwei Syrien-Kämpfer, die als Flüchtling in die EU einreisen. Per Mietwagen werden sie in Deutschland und Frankreich abgeholt und nach Verviers gebracht.
Der Staatsschutz bekommt im November 2014 Wind davon und beobachtet die beiden. Telefongespräche werden abgehört und Verbindungen zu einem gewissen "Omar" nach Syrien und Griechenland entdeckt. Nach dem Anschlag auf das Satire-Magazin "Charlie Hebdo" verdichten sich die Hinweise. "Wir haben alles, was wir brauchen", heißt es in einem abgehörten Gespräch. Die Polizei will kein Risiko eingehen und bereitet den spektakulären Zugriff vor.
Neben dem gefassten Verviers-Verdächtigen El Bali sind 15 weitere Männer angeklagt. Ihnen wird Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen – unter anderem sollen sie die Gruppe logistisch unterstützt und Waffen besorgt haben. Ihnen drohen Gefängnisstrafen von bis zu 20 Jahren.
Auftraggeber Abdelhamid Abaoud wurde zum Zeitpunkt des Einsatzes in Griechenland vermutet, kann der dortigen Polizei aber mehrere Monate später entwischen. Was die Terrorzelle von Verviers mit ihren Waffen vorhatte und wie kurz sie davor stand zuzuschlagen, ist unklar. Vielleicht ein Anschlag gegen Polizisten, vielleicht die Entführung und Ermordung einer bekannten Persönlichkeit? Möglicherweise wird der dreiwöchige Prozess keine genauen Antworten liefern können. Die Ermittler sind sich aber sicher, ein Blutbad verhindert zu haben. Und sie glauben, dass Verviers am Anfang der späteren Terrorzelle von Paris und Brüssel stand…
Anhörungen verspätet begonnen und frühzeitig abgebrochen
Der Prozess begann übrigens mit Verspätung. Wegen des Streiks in den Gefängnissen hatten einige Anwälte zuletzt keine Gelegenheit mehr zu einem Gespräch mit ihren Mandanten. Der vorsitzende Richter gestand ihnen deshalb vor Beginn der Verhandlung einen kurzen Austausch mit den Angeklagten zu.
Am Nachmittag musste das Gericht die Anhörung der Angeklagten vorzeitig abbrechen, weil sich das Sicherheitspersonal eine strikte Einhaltung der Arbeitszeit abgesprochen hatte. Das Gericht musste daraufhin die Anhörung abbrechen. Der vorsitzende Richter traf abschließend die Feststellung, dass es den Polizisten wohl an Berufsehre mangele. Er bedauere, dass Sozialkonflikte immer dann ausgefochten würden, wenn schlagzeilenträchtige Gerichtsverfahren stattfinden.
belga/akn/rkr - Bilder: Benoit Doppagne (belga)