Das Rücktrittsgesuch von Innenminister Jan Jambon und Justizminister Koen Geens war am Donnerstag eingeschlagen wie eine Bombe. Beide hatten nach eigener Aussage "gute Gründe" anzunehmen, dass in ihren jeweiligen Diensten mitunter entscheidende Fehler gemacht wurden. Im Mittelpunkt steht hier Ibrahim El Bakraoui, also einer der Selbstmordattentäter, die sich am Dienstag am Brussels Airport in die Luft sprengten.
Es gibt zwei irritierende Feststellungen. Erstens: Ibrahim El Bakraoui war 2010 zu zehn Jahren Haft verurteilt worden, unter anderem weil er mit einer Kriegswaffe Polizisten beschossen hatte. Ein Beamter war dabei verletzt worden. Der Mann wurde aber schon vier Jahre später, im Jahr 2014, wieder auf freien Fuß gesetzt.
Zweitens: Eben dieser Ibrahim El Bakraoui wurde im Sommer 2015 an der türkisch-syrischen Grenze aufgegriffen. Nicht nur, dass das ein eindeutiger Verstoß gegen seine Bewährungsauflagen war, sagte Innenminister Jan Jambon in der Kammer, bei einem solchen Profil müssen dann doch alle Alarmglocken läuten. Da kann man sich doch an den fünf Fingern abzählen, dass man es da mit einem Dschihadisten zu tun hat.
Fehler offensichtlich
Hier klingt es schon heraus: Sowohl Jan Jambon als auch sein Kollege, Justizminister Koen Geens, sind sich offensichtlich darüber im Klaren, dass es hier einen Fehler gegeben haben muss. Dass ein verurteilter Schwerverbrecher, der auf flagrante Weise gegen die Bewährungsauflagen verstößt und sogar offensichtlich nach Syrien in den Krieg ziehen will, noch auf freiem Fuß ist, das kann nicht normal sein. Zumal der türkische Präsident Erdogan behauptet, die Belgier vor Ibrahim El Bakraoui gewarnt zu haben.
Was ist da genau passiert? Innenminister Jan Jambon versuchte zunächst, eine Chronologie der Ereignisse zu erstellen und nachzuvollziehen, welchen Weg welcher Hinweis gegangen ist. Grob zusammengefasst war es so: Die Information, dass El Bakraoui tatsächlich an der syrischen Grenze aufgegriffen wurde, die hat es tatsächlich gegeben. Im Juni 2015 wurde der belgische Verbindungsoffizier in der Türkei darüber in Kenntnis gesetzt.
Der habe diese Meldung aber nicht konsequent genug weiterverfolgt. Drei Wochen lang sei in dieser Akte nichts passiert, sagte Jambon. Als er das feststellen musste, gab es für ihn nur eine Schlussfolgerung: Hier ist etwas schiefgelaufen, hier müsse er seine politische Verantwortung übernehmen. "Politische Verantwortung", betont Jambon. Nicht er persönlich hat den Fehler gemacht, sondern er steht für einen Fehler gerade, der offensichtlich in seinen Diensten gemacht wurde. Im Besonderen durch besagten Verbindungsoffizier.
Unüblicher Informationskanal
Die belgische Regierung will sich den Schuh aber nicht alleine anziehen. Zweiter Hauptakteur in dieser Geschichte ist ja die Türkei. Deswegen wurde neben Jambon und Geens auch Außenminister Didier Reynders angehört. Es war eine gemeinsame Sitzung der Ausschüsse für Inneres, Justiz und Auswärtige Angelegenheiten.
Reynders konnte seinerseits nur feststellen, dass die türkische Seite einen unüblichen Informationskanal gewählt hatte. Das sei im Übrigen häufiger mal vorgekommen, ohne dass es dafür eine rationale Erklärung gab. Deswegen habe das niederländische Außenministerium die türkischen Behörden schon vor einiger Zeit dazu aufgerufen, Hinweise auf mögliche Terroristen möglichst immer und systematisch auch den Polizeibehörden des betroffenen Landes mitzuteilen.
Auch Justizminister Koen Geens kann nur feststellen, dass Ankara entscheidende Informationen viel zu spät mitgeteilt habe. Erst im Januar 2016, also ein halbes Jahr nach dem Vorfall an der Grenze, bekamen die belgischen Behörden einen umfassenden Bericht über Ibrahim El Bakraoui zugestellt.
Fazit: Insbesondere Innenminister Jan Jambon und Justizminister Koen Geens sind sich durchaus darüber im Klaren, dass die belgischen Sicherheitsdienste wohl in dieser Sache nicht immer ausreichend nachdrücklich und proaktiv waren. Doch war auch der Datenaustausch mit der Türkei nicht immer optimal.
Die Opposition gab sich ihrerseits mit diesen Erklärungen nicht zufrieden. Es hagelte Kritik, häufig fiel das Wort Fiasko. Die Aufarbeitung der Anschläge und der offensichtlich vorangegangenen Ermittlungspannen hat wohl gerade erst begonnen.
Roger Pint - Bild: Laurie Dieffembacq/BELGA