Bei der Informationspolitik zur Terrorbedrohung herrscht in Belgien seit Beginn der Woche Kraut und Rüben. In der Kritik steht die Kommunikation der Föderalregierung. Wurde am Sonntag ein Terroranschlag gerade noch abgewendet oder nicht? War das Schließen der Schulen in Brüssel übertrieben? Sind die Krankenhäuser in Belgien ebenfalls gefährdet oder nicht?
Dabei hatte es kurz nach den Anschlägen von Paris ganz gut angefangen. Der flämische Kommunikationswissenschaftler Jeroen Wils findet, dass sowohl Innenminister Jan Jambon als auch Premier Charles Michel in der vergangenen Woche eine gute Figur abgegeben haben.
Doch seit der großangelegten Polizeiaktion vom vergangenen Sonntag geht es drunter und drüber. Am Montag berichteten De Tijd und L'Echo, die Aktion habe einen Anschlag gerade noch verhindern können. Eine offizielle Bestätigung gab es nicht. In Het Laatste Nieuws nun weitere Details: Die Überwachung von E-Mailverkehr und Telefongesprächen hätte ergeben, dass eine Anschlagsserie genau wie in Paris geplant war - mehrere Attentäter an verschiedenen Orten zur gleichen Zeit.
Dazu noch ein paar polizeiinterne Details … Quelle: hochrangige Sicherheitsbeamte, gut informierte Kreise. Innenminister Jambon blieb vage, Beweise lieferte er keine. Auch die Staatsanwaltschaft wollte nichts bestätigen. Kommunikationsexperte Jeroen Wils beobachtet in der Tat seit einigen Tagen einen Mangel an unmissverständlicher Kommunikation.
Viele ungeklärte Fragen
Weitere Beispiele: Die Terrorwarnstufe vier bleibt bestehen - aber warum eigentlich? Nach wem wird gefahndet? Wie weit sind die Ermittlungen? Präzise und konkrete Informationen, eindeutige Anweisungen? Fehlanzeige! Allerhöchste Terrorwarnstufe, das heißt "sehr ernste und unmittelbare" Gefahr eines Terroranschlags. Trotzdem wurden Schulen und Metro am Mittwoch geöffnet. Warum?
Der flämische Ministerpräsident Geert Bourgeois fand die Schließung sowieso übertrieben: Schulen seien kein Anschlagsziel. Die frankophone Unterrichtsministerin Joëlle Milquet hingegen will "Safe Rooms" einrichten – Orte, an denen sich Schüler bei einem Anschlag versammeln können.
Außenminister Didier Reynders kann in einem Interview mit dem amerikanischen Sender ABC nicht genau sagen, wie viele schwerbewaffnete Terroristen in Brüssel herumlaufen. Sind es nun fünf, sieben oder zehn? Am Ende heißt es lapidar: Zitat aus dem Kontext gerissen. Imagepolitur sieht trotzdem anders aus. Für die New York Times ist Belgien sowieso der "reichste gescheiterte Staat" der Welt. Belgien in puncto Organisation und Sicherheit in einem Sack mit dem Sudan, Somalia und Syrien … mit Molenbeek als Höhle der Dschihadisten.
Auch die Kommunikation mit den Nachbarländern scheint verbesserungswürdig. Salah Abdeslam, der belgischen Polizei als durchaus gefährlich bekannt, gerät nach den Anschlägen von Paris in eine französische Polizeikontrolle … und darf weiterfahren. "Belgien hat Abdeslam zwar in die europäische Datenbank SIS eingegeben. Aber nur zur diskreten Überwachung und nicht in Verbindung mit Terrorismus", erklärt der EU-Koordinator für die Terrorbekämpfung, Gilles de Kerchove. "Das muss verbessert werden." Die Datenbanken SIS und EUROPOL sollen konsequenter gefüttert und Grenzkontrollen systematischer durchgeführt werden.
Am Freitag werden sich deshalb die EU-Innenminister treffen. "Das wird schwierig", sagt Gilles de Kerchove. "Die Geheimdienste verfügen oft über Informationen, die sie ungern weitergeben. Sie befürchten undichte Stellen." Beobachtern zufolge ist diese Unsicherheit bei laufenden Fahndungen auch ein Grund für die Hühnerhaufen- und Hasenfuß-Informationspolitik der belgischen Regierung.
Externer Kommunikator als Lösung?
"Hätten wir doch nur auch so jemanden wie den Pariser Staatsanwalt", schreiben einige Zeitungen in ihren Kommentaren. Regelmäßig liefert der sachliche und genaue Informationen über den derzeitigen Stand der Dinge. Die Regierung überlegt deshalb, einen externen Kommunikator zu beauftragen, um alles das, was mit Terrorbekämpfung und Terrorbedrohung zu tun hat, nach außen zu kommunizieren.
"Eine gute Idee", findet Jeroen Wils. "Es muss jemanden geben, der deutlich nach außen kommuniziert, die gesamte Kommunikation überwacht und eindeutige Botschaften vermittelt. Die Person sollte aus dem Krisenzentrum kommen, dort gibt es genügend kompetente Leute." Wichtig sei aber vor allem eines: Der Bevölkerung wieder Vertrauen geben und Besonnenheit vermitteln.
Auch SP.A unzufrieden
Die flämischen Sozialisten kritisieren die Regierung für deren Umgang mit der Terrorgefahr. SP.A-Chef Crombez sagte in der VRT, die Organisation und die Kommunikation der Regierung sei unprofessionell und politisch motiviert. Seit den Terroranschlägen in Paris sei die Verunsicherung in Belgien eher größer als kleiner geworden, so Crombez.
Als Beispiele nennt Crombez unter anderem die Aussage von Innenminister Jambon, durch den Polizeieinsatz von Sonntag sei ein konkreter Anschlag verhindert worden. Für diese Behauptung gebe es aber keinen Anhaltspunkt, so Crombez. Auch die Entscheidung, dass in Brüssel weiterhin Terrorwarnstufe vier gilt, Schulen aber wieder öffnen, sei widersprüchlich.
Crombez fordert, dass sich die Regierung von Sicherheitsexperten in der Terrorabwehr beraten lassen soll und dass die Kommunikation über Anti-Terror-Maßnahmen zentralisiert wird.
vk/km/okr - Bild: Nicolas Maeterlinck/BELGA