Wegen der vielen Verbindungen der Terroristen nach Molenbeek zeigt die ganze Welt seit Tagen mit dem Finger auf Belgien und erwartet harte Maßnahmen im Anti-Terror-Kampf. Frage an Alain Kniebs aus unserem Hauptstadtstudio: Charles Michel hat einen 18-Punkte-Plan vorgelegt. Hat er damit denn auch überzeugen können?
Ja, ich denke schon. Der Auftritt heute war wirklich wichtig für ihn. Es ist, glaube ich, nicht übertrieben zu sagen, dass die ganze Welt zugeschaut hat. Belgien war in den letzten Tagen ja international als "gescheiterter Staat" dargestellt worden: Brüssel als die Hauptstadt der Dschihadisten. Dazu kam, dass Frankreichs Präsident François Hollande eindeutig mit dem Finger auf Belgien gezeigt hatte. Er hatte ja gesagt, die Pariser Anschläge seien in Belgien organisiert worden. Der Ruf unseres Landes war also ruiniert. Ein wenig wie vor gut 20 Jahren nach der Dutroux-Affäre. Damals nannte man uns ja "das Land der Kinderschänder". Michel wusste also ganz genau, dass er jetzt liefern muss. Herausgekommen sind 18 Maßnahmen, die es zum Teil in sich haben: unter anderem mehr Geld für die Sicherheitsdienste, längerer Polizeigewahrsam, Syrienrückkehrer ins Gefängnis, elektronische Fußfessel für Gefährder und eine bessere Überwachung von Moscheen. Michel hat nicht um den heißen Brei geredet, er hat deutliche Worte gefunden, er hat sich kämpferisch gezeigt. Auch unser Wertesystem hat er verteidigt. Er hat damit versucht, eine Art "Einheitsfront" zu beschwören: Die Gemeinschaften und Regionen will er einbeziehen sowie alle demokratischen Parteien. Er weiß natürlich, dass er sie nötig hat, um die Maßnahmen umzusetzen. Das scheint ihm erstmal auch gelungen zu sein, denn auch von der Opposition gab es heute Applaus.
Das politische Belgien rückt nach den Anschlägen von Paris also näher zusammen. Diese 18 Maßnahmen, die heute angekündigt wurden, kann man die denn einfach so umsetzen?
Das hängt tatsächlich von den Maßnahmen ab. Einige Dinge kann die Regierung im Alleingang machen. Für andere Pläne muss man die Gesetze abändern, also da bedarf es der Zustimmung des Parlaments. Heute hat die Opposition applaudiert. Wenn es um die konkrete Umsetzung gehen wird – also in ein paar Wochen – denke ich aber, dass doch wieder mehr Reibereien zwischen den politischen Lagern auftauchen werden. Bürgerliche Grundrechte- und Freiheiten auf der einen Seite sowie Sicherheit auf der anderen: Da wird man die richtige Balance finden müssen. Zwei Dinge noch: Nach dem Anti-Terror-Einsatz von Verviers im Januar hatte die Regierung ja bereits erste Maßnahmen getroffen. Diesmal geht sie aber eindeutig weiter. Radikale Jugendliche, die nach Syrien reisen wollen, denen konnte man ja den Pass abnehmen. In der Praxis hat sich das aber als nicht so nützlich erwiesen. Deshalb sollen solche Gefährder jetzt zur besseren Überwachung eine Fußfessel erhalten. Und: Michel hat das "Belgien-Bashing" nicht auf sich sitzen lassen. Pauschale Schuldzuweisungen aus dem Ausland akzeptiere er nicht. Dieser Giftpfeil war eindeutig für die Franzosen bestimmt.
Blicken wir auf die andere Meldung des Tages: Der belgische Top-Terrorist Abdelhamid Abaaoud, der als Drahtzieher der Anschläge von Paris gilt, ist tatsächlich bei der Razzia am Mittwoch ums Leben gekommen. Welche Rolle hat der 28-Jährige aus Molenbeek tatsächlich gespielt?
Also laut dem französischen Innenminister Bernard Cazeneuve, der am Donnerstagnachmittag in Paris vor die Presse getreten ist, hat Abaaoud eine entscheidende Rolle bei den Pariser Attentaten gespielt. Außerdem bei mindestens vier anderen Anschlägen, die in den letzten Monaten in Frankreich vereitelt worden seien. Ob Jüdisches Museum in Brüssel, Terrorzelle von Verviers, Thalys-Angriff oder eben Paris: Immer wieder gab es eine direkte Verbindung zu Abaaoud. Allerdings wurde er seit dem Anti-Terror-Einsatz von Verviers in Syrien vermutet. Dem war aber ganz eindeutig nicht so. Und jetzt stellt sich natürlich die Frage: Warum haben die westlichen Geheimdienste völlig daneben gelegen. Und wie konnte dieser Mann, der in Belgien in Abwesenheit zu 20 Jahren Haft verurteilt worden ist und der europaweit zur Fahndung ausgeschrieben war, wie konnte dieser Mann offenbar problemlos nach Europa einreisen und ungestört nach Paris reisen?
Ganz kurz noch: Im Großraum Brüssel haben heute erneut Hausdurchsuchungen stattgefunden, unter anderem in Molenbeek. Wie fällt die aktuelle Bilanz aus?
Es gab insgesamt neun Festnahmen und zwar in Molenbeek, Brüssel, Laeken, Jette und Uccle. Alle Aktionen galten dem Umfeld von Bilal Hadfi. Der 20-jährige Franzose, der in Belgien lebte, war einer der Selbstmordattentäter von Paris. Die Verdächtigen werden derzeit noch von der Polizei verhört.
Alain Kniebs - Bild: Achim Nelles/BRF