Nachvollziehbare Vorsichtsmaßnahme? Oder doch ein neuer Beweis für die allgemein grassierende Hysterie? Die Frage steht im Raum nach einem doch bizarren Vorfall in Antwerpen.
Dort hatte eine Studentenvereinigung zu einem sogenannten "Networking-Event" eingeladen, nennen wir es eine "Netzwerkbörse". Konkret: Studenten bekommen die Möglichkeit, Vertreter aus der Wirtschaft zu treffen, um eben Kontakte zu knüpfen und auch konkretere Einblicke in die Arbeitswelt zu bekommen.
Eröffnet wurde die Veranstaltung mit einem "Impulsreferat". Gastredner war Peter Decuypere, Hochschuldozent und bekannter Veranstalter von Großereignissen.
"Ich hatte gerade meine Rede beendet, als plötzlich die Polizei in das Gebäude stürmte", sagte Decuypere in der VRT. Das Einsatzteam habe sich blitzschnell und zielgerichtet auf einen Mann gestürzt, der in der vierten Reihe saß. Der Mann wurde überwältigt und festgenommen; die Veranstaltung wurde abgebrochen.
"Es war wie im Film", schreibt Decuypere auch auf Twitter. Das Ganze muss jedenfalls ziemlich spektakulär gewesen sein.
Was war passiert? Erst die Version der Polizei: Am Abend haben wir von einem Wachmann über die Notrufnummer einen Anruf bekommen, sagte eine Sprecherin. Der wies uns auf eine Mitteilung hin, die ein Veranstaltungsteilnehmer auf Twitter verbreitet hatte. Darin war von einer Bedrohung die Rede, sogar von möglichen Opfern.
Und es war denn auch der Autor eben dieses Tweets, den die Polizei da in der vierten Reihe überwältigt und mitgenommen hat. Schaut man sich die besagte Twitter-Mitteilung an, dann zeigt sich aber ein, sagen wir mal, "nuancierteres" Bild. "Hat jemand gute Tipps, um mit Menschen in Kontakt zu kommen", schreibt der Mann. "Ich hätte da eine Idee: Man ruft 'Allahu akbar' in die Runde, das ist bestimmt ein guter Eisbrecher".
Ein Bekannter antwortet dann auf die Mitteilung mit den Worten: "Dann mach' doch mal und sag' uns dann, was daraus geworden ist".
Reaktion des jungen Mannes: "Dann haben wir morgen die Schlagzeile: '25 Tote und 93 Verletzte nach Massenpanik im Antwerpener ING-Gebäude'".
Es war wohl dieser Tweet, der die Polizei dazu veranlasste, einzugreifen. "Als von möglichen Toten und Verletzten die Rede war, wollten wir kein Risiko eingehen und haben unser schnelles Einsatzteam hingeschickt", sagt die Sprecherin.
Da gibt es noch ein wichtiges Detail: der Autor der Twittermitteilung heißt Mohammed Ouaamari. Mohammed... Hätte die Polizei auch so reagiert, wenn der Mann "Bart" geheißen hätte, fragt sich die Zeitung De Morgen. "Die Behörden haben vollkommen überreagiert', sagt auch Ergün Top, der Anwalt von Mohammed Ouaamari. Das sei doch eine totale Fehleinschätzung gewesen. Sein Mandant habe lediglich auf ironische Weise klargemacht, dass es wohl besser sei, eben nicht 'Allahu akbar' in die Runde zu rufen, auf die Gefahr hin, dass eine Massenpanik entsteht. Ein harmloser Scherz, mehr nicht.
So etwas habe er in seinen 18 Jahren als Anwalt noch nie erlebt, sagt Ergün Top in der Zeitung Gazet van Antwerpen. Er war zum Polizeipräsidium gerufen worden, um seinem Mandanten, Mohammed Ouaamari, beizustehen, der ja wegen seines Tweets festgenommen war. Er sei noch keine zwei Minuten im Verhörraum gewesen, da sei im schon klar gewesen, dass es sich hier um ein reines Missverständnis handelte.
Wenn das die Art und Weise ist, wie man hierzulande gegen die Terrorbedrohung vorgeht, dann werfe das doch Fragen auf, sagte Ergün Top in der VRT.
Experten sind sich jedenfalls einig, dass die Ermittlungen gegen Mohammed Ouaamari wohl eingestellt und ohne juristische Folgen bleiben werden. Er selbst hat seinen Humor aber offensichtlich nicht verloren. Nach seiner Freilassung meldete er sich wieder auf Twitter; diesmal mit den Worten: "Da ist meine Frau mal gerade einen Tag nicht da, da lande ich schon um ein Haar in Guantanamo."
Roger Pint - Bild: Leon Neal (afp)