Anne-Marie Lizin hat es weit gebracht in der belgischen Politik, so weit wie nur wenige Frauen vor ihr. Zuerst Bürgermeisterin, dann Europaparlamentarierin, Kammerabgeordnete, Senatorin, anschließend sogar Senatspräsidentin. Doch ihr politischer Untergang sollte mindestens genauso spektakulär werden.
"Ist es normal, dass städtische Angestellte während ihrer Dienstzeit Wahlwerbung von Frau Lizin verteilen?" Mit dieser anklagenden Frage in einer RTBF-Reportage Ende 2007 nimmt das Unglück seinen Lauf. Anne-Marie Lizin wird vorgeworfen, Stadtpersonal für Wahlzwecke missbraucht zu haben – während deren Arbeitszeit. Wahlkampf auf Kosten der Allgemeinheit also. Lizin streitet die Vorwürfe bis heute ab. Und das, obwohl sie vor Gericht inzwischen zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden ist.
Anne-Marie Lizin gilt als überaus intelligent, als umtriebig, engagiert, zuweilen auch dreist. Als ein Bauchmensch, der auch unkonventionelle Wege geht, um seine Ziele zu erreichen, notfalls sogar gewisse Grenzen überschreitet. Mitten in der Wahlzettel-Affäre, im Januar 2008, kommt es zu einem weiteren Vorfall. In den Hauptrollen: Anne-Marie Lizin und die damalige deutschsprachige Regionalabgeordnete Monika Dethier-Neumann. Letztere gibt an, nach einer Gemeinderatssitzung in Huy, von Lizin als "Heftzweck" und "Nazi" beschimpft worden zu sein. Lizin wies die Vorwürfe zurück. Es blieb bei Aussage gegen Aussage.
Doch es sollte nicht der letzte Zwischenfall von und mit Anne-Marie Lizin gewesen sein. 2009 parkt sie ihr Auto unrechtmäßig auf einem reservierten Stellplatz vor dem Rathaus von Huy und rammt das Auto der neuen Bürgermeisterin – eine Überwachungskamera zeichnet den Vorfall auf. Auch wegen einer Kreditkarten-Affäre an der Spitze des Krankenhauses von Huy beherrscht sie wochenlang die Schlagzeilen.
Dem Parteipräsidenten Elio Di Rupo wird das alles damals zu bunt. 2009 fliegt sie im hohen Bogen aus der sozialistischen PS. Lizin habe die Vorwürfe gegen sie zu keinem Zeitpunkt entkräftet und der Partei und ihren Werten großen Schaden zugefügt, erklärte Di Rupo Anfang 2009. Die Reaktion Lizins auf ihren Partei-Rauswurf: Sie bläst zum Gegenangriff auf die PS. "Es läuft ab wie immer: Die PS ist der große Dämpfer der Wallonie, keine Spur von Demokratie und Respekt gegenüber den Wählern", so Lizin.
Ihre politische Laufbahn voller Höhen, aber auch Tiefen, hat die ehemalige Stimmenkanone aus Huy jetzt an den Nagel gehängt. Den juristischen Kampf will Lizin aber weiterführen. Sie zieht nun ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg in Erwägung.
Alain Kniebs - Bild: Nicolas Lambert/BELGA