Im luxemburgischen Grenzdorf Schengen hatten am 14. Juni 1985 fünf europäische Staaten das Schengener Abkommen unterzeichnet. Die Grenzkontrollen zwischen Deutschland, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden und Belgien fielen weg. Inzwischen sind es 26 Länder, die das Abkommen unterzeichnet haben. Der Schengen-Raum umfasst nahezu ganz Europa. Am Samstag, dem Tag 1 nach dem Thalys-Attentat, war es Belgiens Premier Charles Michel, der das Abkommen in gewissen Teilen in Frage gestellt hat. Das Schengen-Abkommen sei wichtig für unsere Wirtschaft und für unsere Bürger, so der Premier. Doch jetzt sei man mit neuen Bedrohungen in Europa konfrontiert. Michel fordert das Schengen-Abkommen anzupassen. Neue Regeln müssen her, um mehr Möglichkeiten der Kontrolle von Personen und Gepäck zu haben. Bei den Kommentatoren der belgischen Zeitungen hielt sich die Begeisterung für diese Idee in Grenzen. Michel opfere die Europäische Idee auf dem Altar einer vermeintlichen Sicherheit so Tenor.
Innenminister Jan Jambon sprang am Montagmorgen in der RTBF seinem Regierungschef zur Seite. Er unterstütze Premier Michel. Man müsse zumindest darüber reden. Das sei auch schon mehrmals im Europäischen Rat besprochen worden. Schengen erlaubt zwar Kontrollen. Aber nur punktuell, nicht systematisch. Für den belgischen Innenminister liegt der Schlüssel daher in einer engen Zusammenarbeit zwischen Polizei und Sicherheitsbehörden aller europäischen Länder. Und das insbesondere mit den unmittelbaren Nachbarn. Jan Jambon selbst ist Zeuge solcher gemeinsamen Kontrollen gewesen: In De Panne zum Beispiel arbeiten französische und belgische Grenzpolizisten zusammen. Diese Zusammenarbeit muss weitergeführt und verstärkt werden. Das geht aber nur, wenn alle Länder im Schengen-Raum dasselbe tun. Die Kriminellen gehen schließlich dorthin, wo es für sie am einfachsten ist. Die Kontrollen an einer Stelle zu erhöhen und an einer anderen Stelle die Türen offen zu lassen, da muss man nicht lange überlegen, wo die Kriminellen hingehen, so Jambon.
Gewisse Reformen hat man auch schon vorgenommen. Sie ermöglichen den Mitgliedstaaten, in ganz speziellen Fällen Grenzkontrollen durchzuführen. Beispielsweise wenn die innere Sicherheit oder die öffentliche Ordnung gefährdet ist. Der Europarechtler Denis Duez von der Freien Universität Brüssel weiß: Punktuelle Kontrollen sind kompatibel mit Schengen, bei systematischen Kontrollen stellt man das Abkommen generell in Frage. Es gibt natürlich eine Verbindung zwischen Terrorismusbedrohung und Flüchtlingskrise, sagt Europarechtler Duez. Die ersten Reformen betrafen schließlich auch die Flüchtlingsströme nach dem Arabischen Frühling, als Menschen von Tunesien nach Italien flüchteten. Es sei sehr schwer zu differenzieren zwischen Terrorismusbekämpfung und der Bekämpfung der illegalen Zuwanderung. Die Initiatoren dieser Reformen haben diese zwei Dinge sehr eng miteinander vermischt, so Duez.
Wie dem auch sei, nach dem Attentat von Freitag ging Premier Charles Michel jedenfalls verbal in die Offensive. Es gebe Regeln im Schengen-Raum, daran müsse man sich halten. Aber wenn es nötig ist, dann müssen die Regeln eben geändert werden. Man habe die letzten Jahre, Monate und auch jetzt gesehen: Die europäischen Regierungen müssen dieses Problem beherzt angehen, genauso Belgien. Wie beherzt Belgien an die Sache herangeht, erklärt Innenminister Jan Jambon: Von der föderalen Polizei sind mehr als 50 zusätzliche Beamte jeden Tag auf den internationalen Bahnhöfen und Zügen unterwegs, Die Polizei hat Zugriff auf die Bilder der Überwachungskameras der SNCB und das in Echtzeit für alle belgischen Bahnhöfe. Hinzu kommen dann noch stichprobenartige Gepäckkontrollen.
Thalys-Attentat-Ermittlungen auf belgischem Boden
Ayoub el-Khazzani, der aus Spanien stammende Marokkaner, war wohl kein Einzeltäter. Davon sind die belgischen Sicherheitsbehörden überzeugt. Zwar sei er alleine in den Zug gestiegen, doch die Behörden vermuten, dass er wohl unterstützt wurde. Vor allem die Frage, wie er an die Waffen kam, beschäftigt die Ermittler. El-Khazzani, der behauptet seit einigen Wochen als Obdachloser in Brüsseler Parks gelebt zu haben, behauptet sie zufällig gefunden zu haben. Fakt ist aber: In Brüssel hatte er Familienangehörige, und damit auch eine mögliche Anlaufstelle. Ob er sie auch tatsächlich in Anspruch genommen hat, ist allerdings unklar.
Unterdessen stellen sich viele die Frage, wie es sein kann, dass Terroristen in Brüssel so leicht an automatische Waffen kommen können. Die "New York Times" hält Belgien für eine Drehscheibe des illegalen Waffenhandels. Doch innerhalb Belgiens schlägt man die Alarmglocken. Sowohl Sicherheitsexperten als auch Justizminister Koen Geens fordern endlich etwas gegen den illegalen Waffenhandel in unserem Land zu tun.
Ob El-Khazzani seine Waffen tatsächlich in Brüssel gekauft hat, ist bislang noch unklar. Doch die Behörden sind sich ziemlich sicher. Sowohl Mehdi Nemmouche, der Attentäter auf das Jüdische Museum in Brüssel als auch Amedy Coulibaly, der im Januar einen Anschlag auf einen jüdischen Supermarkt in Paris verübte, sollen ihre Waffen in Brüssel gekauft haben.
Hatte Thalys-Schütze Verbindungen zu Dschihadisten in Belgien?
Volker Krings - Bild: AFP