Was passiert, wenn man keine Ordnung hält, bekommt die Stadt Charleroi gerade zu spüren: Fieberhaft werden derzeit alle Büros der städtischen Verwaltung durchsucht. Doch die verschlampte Akte für das neue Kulturzentrum scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Aus dem Rathaus heißt es bislang nur "kein Kommentar" dazu. "Das Problem ist aber riesengroß", erklärt Christine Borowiak von der RTBF-Redaktion in Charleroi. Dass die Unterlagen verschwunden sind, sei erst aufgefallen, als der Auditdienst der Wallonischen Region, der für die Verwaltung der europäischen Fördergelder zuständig ist, die Akte überprüfen wollte, erklärt Journalistin Borowiak.
Das Problem: Für das neue Kulturzentrum "Quai 10" in der Unterstadt von Charleroi sind bereits Gelder aus dem europäischen Fonds für Regionalentwicklung geflossen. Mit zehn Millionen Euro hatte die Stadt gerechnet – fast die Hälfte der Kosten für die umfangreichen Sanierungs- und Umbaumaßnahmen. Sollte die Akte nicht wieder auftauchen, dann müsste die Stadt die Fördergelder im schlimmsten Fall sogar zurückzahlen. Für das klamme Charleroi käme das einer Katastrophe gleich. Die EU sei sehr streng bei der Vergabe von Fördergeldern und der späteren Überwachung der Rechtmäßigkeit, erklärt Christine Borowiak. Die Stadt Charleroi habe jetzt einen Rechtsanwalt eingeschaltet, um die juristischen Folgen besser abschätzen zu können.
Die verschwundene Akte befasst alle wichtigen Unterlagen zum Projekt: die Förderanträge, die Lastenhefte, die Vergabeverfahren für die öffentlichen Ausschreibungen, darunter auch der Juryentscheid für die Vergabe der Pacht an das neue Bistro-Café im Kulturzentrum. Wenn alles schief läuft, muss das gesamte Projekt neu ausgeschrieben werden. Dabei hat der Pächter bereits eine Menge Geld investiert und sogar schon Personal eingestellt – das Kulturzentrum "Quai 10" soll ja in wenigen Wochen eröffnet werden, erklärt die RTBF-Journalistin.
Ob die Akte aus Versehen verlegt wurde, vielleicht sogar weggeworfen oder es sich sogar um einen Sabotageakt handelt, weiß derzeit niemand. Während die Anwälte nach einem juristischen Ausweg suchen, wird im Rathaus weitergesucht.
Alain Kniebs - Bild: Siska Gremmelprez (belga)